: Ayodhya steht für Fanatismus
Zehn Jahre nach der Zerstörung der Babar-Moschee in Nordindien regieren wieder gemäßigte Kräfte. In Gujarat wird jedoch mit Antiislamismus Wahlkampf gemacht
DELHI taz ■ Die Zerstörung der Babar-Moschee in der nordindischen Pilgerstadt Ayodhya durch fanatische Hindus hat ihren Weg in die Annalen der indischen Geschichte gefunden. Nicht wegen der Opferzahl an jenem Tag. Tote gab es erst Tage und Monate später, wenn Hindus brandschatzten und Muslime mit Bomben Revanche nahmen.
In Ayodhya waren an jenem 6. Dezember 1992 keine Muslime zu sehen. Sie hatten sich, noch bevor die 150.000 „Ram Sevaks“ zum Sturm auf die Moschee ansetzten, in Sicherheit gebracht. Ebenso wie die zahlreichen Polizisten, die bereits bei der ersten Angriffswelle kehrtmachten. Die Anhänger des Hindu-Gotts Ram – in der großen Mehrzahl junge Schlägertypen und Mitläufer – ließen ihre Wut nicht nur an den Ruinen der Moschee aus. Die Kameras der vielen angereisten Journalisten wurden zu Boden gerissen, mit Backsteinen wurde auf ihre Köpfe gezielt.
Ayodhya wird in die Geschichte eingehen, weil es der siegreiche Höhepunkt einer politischen Strategie war, welche die große Mehrheit der indischen Bevölkerung unter dem safrangelben Banner ihrer Religion vereinen sollte. Während Jahrzehnten hatten die Ideologen des „Nationalen Freiwilligen-Bunds“ RSS daran gearbeitet, die in viele Sprachen, Kasten, Glaubensformen fragmentierte Hindu-Gesellschaft zusammenzuschweißen. Der gemeinsame Nenner dieser Vielfalt war der „Andere“, der muslimische Gegner – als Minderheit hautnah und landesweit präsent. Noch dazu wegen weitgehender Verarmung von der indischen Verfassung besonders geschützt. Und als historisches Feindbild ideal: von der Mogul-Herrschaft im 16. Jahrhundert bis zur Teilung des Landes in zwei Staaten – Indien und Pakistan. Die Ayodhya-Moschee stand als Sinnbild für die Geschichte. Ließ doch einst der erste Mogulkaiser Babar die Gebetsstätte just dort errichten, wo angeblich Gott Ram geboren worden war.
Der Sturm auf die Moschee war eine Absage an den religiösen Pluralismus der indischen Staatsgründer Gandhi und Nehru, und er zahlte sich politisch sofort aus. Die „Bharatiya Janata-Partei“ (BJP), der politische Arm des RSS, gewann eine Provinzwahl nach der anderen, und sie verdoppelte in fünf Jahren ihre Sitzzahl im Parlament von Delhi. Dies erlaubte ihr im Jahr 1996 erstmals, die Kongresspartei in die Schranken zu weisen und die Regierung zu übernehmen.
Es zeigte sich jedoch bald, dass für die große Mehrheit des indischen Volks Religion zu wichtig ist, um sie als Spielball politischer Interessen missbrauchen zu lassen. Der Gruppenkonformismus der Kastenzugehörigkeit erwies sich als stärker als die Solidarisierung von Brahmanen und Kastenlosen unter dem gemeinsamen Banner eines fanatischen Hinduismus. Heute muss die BJP die Macht in Delhi mit 24 anderen Parteien teilen. Nur noch in drei Bundesstaaten regiert sie allein – die Kongresspartei bringt es dagegen auf 15.
Zehn Jahre nach dem Sturm auf die Moschee ist die Ayodhya-Agitation der BJP eher peinlich. Innenminister L. K. Advani, der damals dem Schauspiel von einem speziell konstruierten Hochsitz aus zuschaute, bezeichnet den Tag heute als „einen der schmerzlichsten“ seiner Karriere. Der gemäßigte Flügel um Premierminister A. B. Vajpayee weiß, dass sich mit einer Agenda des Hasses auf Minderheiten in einer so fragmentierten Gesellschaft kein Staat machen lässt.
Doch die extreme Rechte der RSS hält die Agitation lebendig. Zehntausende von fein ziselierten Einzelteilen warten in einem Lager außerhalb Ayodhyas darauf, zum neuen Ram-Tempel zusammengesetzt zu werden. Die für Februar 2002 geplante Einweihung verbot das Oberste Gericht in letzter Minute.
Das Problem war damit nicht vom Tisch: Die 58 Menschen, die im Februar im Bundesstaat Gujarat in einem Zug verbrannten, waren Hindu-„Pilger“ auf dem Heimweg von der verhinderten Zeremonie in Ayodhya. Das Massaker war für die Hindu-Rechte der Anlass, zu einem Blutbad unter Muslimen aufzurufen, das zwei Monate dauerte und nach Schätzungen über 2.000 Menschen das Leben kostete.
Statt die Gemeinschaften zu versöhnen, löste BJP-Regierungschef Narendra Modi das Provinzparlament auf. Er begann eine Hasskampagne, welche den Kampf gegen „Muslim-Terroristen“ zum Wahlkampfschlager machte. Falls Modi nächste Woche die Wahl in Gujarat gewinnt, könnte dies ein neues „Ayodhya“ werden. Der erfolgreiche Versuch, mit dem Schüren von Gewalt aus Angst vor dem „Andern“ die religiösen Gemeinschaften in Indien noch weiter auseinander zu treiben. BERNARD IMHASLY
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen