: Das allseitige Misstrauen
von BERND PICKERT
Es kann nicht gut gehen. Bis Sonntag muss der Irak gemäß der Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates vom 8. November eine komplette und wahrheitsgemäße Auflistung aller Programme und Produktionsstätten für Massenvernichtungswaffen übergeben – einschließlich aller Einrichtungen, die nach seiner Auffassung damit nichts zu tun haben. Tut er das nicht, wird das als schwer wiegender Bruch mit den Bestimmungen der Resolution angesehen werden, was umgehend zu Beratungen im Sicherheitsrat über „ernste Konsequenzen“ führen wird – das Synonym für Krieg.
Die irakische Regierung hat ihre Dokumente schon für Samstag versprochen. Dann würden sie auf Englisch und Arabisch den Inspektoren in Bagdad übergeben. Was immer sie vorlegen wird: Zumindest den Ansprüchen der US-Regierung kann sie nicht genügen, wenn sie ihre bisherige Position aufrechterhält, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen nicht verfüge. Denn während mit Präsident George W. Bush, Außenminister Colin Powell und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in den letzten drei Tagen gleich drei führende Vertreter der US-Regierung bekräftigten, sie seien davon überzeugt, dass der Irak solche Waffen besitze, erklärte der Irak, das sei nicht der Fall.
General Amin, der irakische Verbindungsoffizier zu den UN-Inspektoren, hat angekündigt, die Deklaration werde einige „neue Elemente“ enthalten, auch einige Produktionsstandorte, die neu aufgebaut worden seien, seit die Inspektoren 1998 den Irak verließen. Mit Massenvernichtungswaffen aber, so Amin weiter, habe das alles nichts zu tun.
Die Erklärung werde auch zeigen, dass die Aluminiumröhren, die Irak in den vergangenen Jahren gekauft hat, mitnichten zum Bau von Gaszentrifugen für die Urananreicherung gedacht seien, sondern für den Bau von Artillerierakten mit einer Reichweite von unter zehn Kilometern.
Umfassende Erklärung
Die Erklärung könnte rund 2.000 Seiten umfassen, zuzüglich einiger CD-ROMs, hieß es von der irakischen Regierung. Es liege an der UN, die Dokumente rechtzeitig zum Sicherheitsrat zu schaffen, der dann am Montag Kopien an die 15 derzeitigen Mitgliedsländer verteilen will.
Noch in der nächsten Woche soll Chefinspektor Hans Blix dem Sicherheitsrat eine vorläufige Bewertung des Berichts vorlegen. Die USA haben eine gründliche Prüfung angekündigt: Ein Team von Experten einschließlich Wissenschaftlern von US-Waffenlaboratorien stehe bereit, die Dokumente zu prüfen, meldete gestern die Washington Post unter Berufung auf Regierungskreise. Die Auswertung der Dokumente könnte rund eine Woche in Anspruch nehmen, bevor man etwas darüber sagen könne. Auch der Unterstaatssekretär im britischen Außenministerium, Bill Rammell, sagte: „Wir sollten die Bewertung nicht überstürzen“ und deutete an, er setze auf eine Überprüfung durch die Waffeninspektoren.
Den Tonfall aber bestimmte noch am Montag dieser Woche erneut US-Präsident Bush: Wenn Irak bis zum 8. Dezember nicht wahrheitsgemäß berichte, dann „wird der irakische Diktator wieder einmal der Welt gezeigt haben, dass er sein Verhalten nicht ändern will“.
Am Mittwoch allerdings gab Bush sich vorsichtig moderater: Der Prozess beginne ja gerade erst, sagte er da. Und auch wenn die USA bereit seien zu handeln, falls Hussein nicht abrüste, sagte Bush: „Mit der Zeit werden wir sehen, ob er dazu gewillt ist oder nicht.“
Dabei sind sich Saddam Hussein und George W. Bush in Wirklichkeit in zwei Dingen einig: Sie glauben beide nicht daran, dass die UN-Waffeninspektoren bei ihren Untersuchungen im Irak Massenvernichtungswaffen finden werden. Und sie bereiten sich beide weiter auf einen Krieg vor. Während die US-Regierung nach Angaben der New York Times in den nächsten Tagen 10.000 Reservisten mobilisieren will, sagte Iraks stellvertretender Ministerpräsident Tarik Asis der BBC, die irakische Regierung habe „hunderttausende, wenn nicht Millionen“ von Schusswaffen an die Bevölkerung ausgegeben. Praktisch jeder irakische Haushalt verfüge über Waffen – und die würden nur gegen Invasoren eingesetzt werden, nicht gegen die irakische Führung. Er glaube im Übrigen nicht daran, dass die USA von ihren Angriffsplänen abzubringen seien. Es wäre ein „Wunder“, wenn sie auf einen Angriff verzichten würden, sagte Asis.
Suche nach Mängeln
Das Interesse der irakischen Regierung ist klar: Sie will einerseits den Inspektoren ausreichend Spielraum lassen, damit der UN-Sicherheitsrat im Hinblick auf ihre Arbeit Argumente gegen voreilige Schlüsse der USA hat. Gleichzeitig aber will Saddam Hussein nicht zulassen, dass er durch die Inspektoren sichtbar düpiert wird, was womöglich eine interne Opposition Hoffnung schöpfen lassen könnte.
Auf welchem Diskussionsstand die US-Regierung derzeit angelangt ist, wird ihre Reaktion auf die Erklärung des Irak zeigen. Die bisherige Rhetorik legt nahe, dass Bush echte oder vermeintliche Mängel als Kriegsgrund benutzen will. Wenn er das überzeugend tun will, muss er die Einheit des Sicherheitsrates suchen – der aber wird auf Überprüfung der Angaben durch die Inspektoren drängen. Bis die jedoch komplett abgeschlossen wären, wäre das Zeitfenster vorüber, das die US-Militärs für einen Angriff für geeignet halten – danach müsste die Invasion bis spätestens Ende Februar beginnen.
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