: Blutiger Angriff im Gaza-Streifen
Wieder kommen etliche palästinensische Zivilisten ums Leben, als die israelische Armee mit Kampfhubschraubern gegen einzelne bewaffnete Kämpfer vorgeht. Israel nennt es eine „gelungene Operation“, Palästinenser sprechen von „Massaker“
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen und Raketenbeschuss im Flüchtlingslager Burredsch sind in der Nacht zum Freitag zehn Palästinenser getötet worden. Die israelische Armee war im Morgengrauen mit etwa 25 Panzern und Bulldozern in das Lager im Gaza-Streifen eingezogen mit dem Ziel, einen der Mittäterschaft an Terroroperationen verdächtigen Mann zu verhaften sowie das Wohnhaus des Gesuchten abzureißen. Laut Informationen aus Jerusalem waren mindestens vier der Todesopfer bewaffnete Hamas-Anhänger.
Die Palästinenser sprechen hingegen von zahlreichen Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, die bei dem Raketenbeschuss getötet und verletzt wurden. Rundfunkmeldungen bestätigten zunächst nur den Tod einer 33-jährigen Frau. Für die mehrheitlich muslimischen Palästinenser begann am Donnerstag das Zuckerfest „Eid al-Fitr“, mit dem das Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert wird.
Die Operation kommt nicht nur aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens mit einem der höchsten muslimischen Festtage überraschend, sondern auch weil sich erst diese Woche Israels Premierminister Ariel Scharon deutlich für die Gründung eines Palästinenserstaates ausgesprochen hatte. Damit löste er vor allem bei der israelischen Rechten scharfe Kritik aus. Scharon kündigte zudem ein Ende der Besetzung im Westjordanland an – von „Sicherheitszonen“ abgesehen. Die Palästinenser müssten die Möglichkeiten haben, sich in ihrem künftigen Staat frei zu bewegen. Allerdings setzte er die komplette Einstellung von Terrorattentaten voraus.
Nach Militärinformationen hatten die Soldaten das Wohnviertel des gesuchten Mannes abgeriegelt, als sich offenbar eine größere Gruppe bewaffneter Palästinenser näherte und das Feuer auf sie eröffnete. Laut Onlineberichten der liberalen Tageszeitung Ha’aretz sind die bewaffneten Palästinenser über die Lautsprecher einer Moschee zum Widerstand aufgerufen worden. Die Armee schickte daraufhin mehrere Hubschrauber, die auf die Schützen mehrere Raketen abfeuerten, darunter mindestens eine Rakete eines Typs, der besonders breitflächigen Schaden anrichtet. Nichtsdestotrotz berichtete ein Militärsprecher, dass nur Palästinenser verletzt worden seien, die sich außerhalb der Gebäude aufhielten.
Erst vor etwa drei Monaten waren bei der Ermordung eines führenden Aktivisten der Hamas durch die israelische Armee insgesamt 15 Palästinenser ums Leben gekommen, darunter zahlreiche Kinder. Die Operation im Flüchtlingslager von Khan Junis löste damals eine heftige Debatte in der israelischen Öffentlichkeit aus. Dennoch zog die Armee aus dem „versehentlichen Tod von Unbeteiligten“, wie es hieß, keine personellen Konsequenzen. Der Kommandant der Operation in der Nacht zum Freitag erklärte vor Journalisten, dass er seine Truppen angewiesen habe, „so weit wie möglich Unschuldige zu verschonen“. Die Soldaten verließen das Flüchtlingslager etwa drei Stunden nach Beginn der Invasion.
Ähnlich wie vor drei Monaten sprachen die Militärs von einer „gelungenen Operation“. Das Haus der Familie eines Selbstmordattentäters sowie das Wohnhaus eines Aktivisten der Fatah-nahen Tansim-Gruppe wurden zerstört. Allerdings konnte der gesuchte Iman Salach Anis Schuschnija nicht gefasst werden. Stattdessen verhafteten die Militärs seinen Bruder, der ebenfalls im Verdacht der Mittäterschaft von Terrorangriffen steht, sowie zwei Tansim-Kämpfer.
Palästinensische Augenzeugen nannten die Operation ein „Massaker unter Zivilisten“, bei dem Panzergranaten in Privathäuser abgegeben worden seien. Es war, als „öffneten sich die Tore der Hölle“, berichtete ein 20-jähriger Palästinenser Journalisten. Die Opfer gehörten vor allem zwei Familien an. Noch während der Evakuierung von Verletzten hätten die israelischen Soldaten den Beschuss aus den Hubschraubern fortgesetzt.
Die palästinensische Führung verurteilte den erneuten israelischen Gewaltakt und appellierte an die USA, Russland, die UNO und die Europäische Union, Einfluss zu nehmen, um das „fürchterliche Verbrechen an dem palästinensischen Volk zu beenden“, so Nabil Abu-Rudeine, Sprecher der Autonomiebehörde.
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