Svetlanas Geschichte hatte ein Happy End

Wohnungslosigkeit von Frauen hat viele Hintergründe. Einer davon ist Zwangsprostitution, die meist verbreitete Form von Menschenhandel. In Wilmersdorf kümmert sich eine Beratungsstelle um wohnungslose Frauen aus Osteuropa

Barbara Eritt hat Svetlana das erste Mal im Gefängnis getroffen. Die Weißrussin saß in Abschiebehaft. Svetlana war ein halbes Jahr zuvor nach Deutschland gekommen. Die netten Männer, die sie über die Grenzen geschleust und nach Berlin gebracht hatten, entpuppten sich hier alles andere als zuvorkommend. Sie zwangen die 24-Jährige zur Prostitution, bis eine Polizeirazzia dem Bordell ein Ende machte.

Ein Fall für Barbara Eritt. Die Sozialarbeiterin verständigte sofort das Landeskriminalamt (LKA). „Weil hier ein Fall von Menschenhandel vorlag“, sagt sie. Das ist ihr Spezialgebiet. Eritt leitet seit 1997 in Wilmersdorf eine Beratungsstelle der Caritas für Frauen aus Mittel- und Osteuropa. Die Hurenvereinigung „Hydra“ leitet Prostituierte an sie weiter, auch das LKA, und zunehmend rufen die Frauen selbst an.

Für viele beginnt damit eine weitere lange Zeit erzwungener Abhängigkeit. Denn ein Prozess gegen die Menschenhändler ist oft die einzige Möglichkeit, Schutz vor der Abschiebung zu bekommen. Als Zeuginnen erhalten die ehemaligen Prostituierten den Status der Duldung. Wenn sie zur Aussage bereit sind. Aber „sie müssen sich in den Gesprächen mit der Polizei entblößen“, sagt Eritt. Für viele sei das anfangs nicht zu ertragen. Die Sozialarbeiterin versucht also, ihnen die Angst zu nehmen. Außerdem begleitet sie die Frauen zur Ausländerbehörde, zum Sozialamt, kümmert sich um einen Rechtsanwalt und – in Absprache mit der Polizei – um eine Bleibe in einer Gegend, wo wenig Gefahr durch die Täter droht.

Svetlana entschloss sich zur Aussage. Das hieß dann zunächst einmal warten – auf den Prozess. Ein Jahr war es in ihrem Fall, durchschnittlich sind es laut Eritt aber zwei Jahre, in der die Frauen zwar vor Abschiebung geschützt sind, aber keine Arbeit aufnehmen dürfen. Das Interesse des LKA sei allein, dass die Frauen in Prozessen gegen Menschenhändler aussagen, sagt Eritt. „Wir dagegen wollen in dieser Zeit zur Stabilisierung und Integration der Frauen in die Gesellschaft beitragen.“

Dazu gehören auch ganz einfache Dinge, anfangs etwa ein U-Bahn-Plan für die Orientierung in der Stadt. Oder Raum und Zeit und die Möglichkeit, zu reden. Eritt trifft sich zum Spazierengehen oder zum Kaffeetrinken mit den Frauen. Sie spricht Russisch und Polnisch. Die Gespräche drehen sich oft um ganz Alltägliches, aber auch um den Prozess, die Angst vor unangenehmen Fragen. Nach dem Prozess geht es darum, einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden.

Auch wenn beim Menschenhandel mit Frauen aus Osteuropa Prostitution an erster Stelle stehe, gebe es auch ganz andere Fälle, erzählt die Sozialarbeiterin. Frauen, die für 20 Euro zwölf Stunden am Tag in einer Imbissbude arbeiten, weil sie sich für den Weg nach Deutschland oder einen Ehevertrag hoch verschuldet haben. Oder Frauen, die vor gewalttätigen Ehemännern nach Deutschland fliehen und dann ohne jeden Cent auf der Straße stehen. In den Übernachtungsheimen der freien Trägern finden sie aber wie die Prostituierten oft kein echtes Dach über dem Kopf. „Wir können keinen Schutz bieten. Jeder weiß ja, wo die Notunterkünfte sind“, sagt Peter Wagener, Migrationsexperte bei der Caritas.

Die Geschichte von Svetlana ist eine mit Happy End. Barbara Eritt erzählt von der Tochter Svetlanas, die in Weißrussland zurückgeblieben war. Weil einem der Mitangeklagten die Flucht dorthin gelang und im Prozess angedroht hatte, sich an Svetlana und ihrer Familie zu rächen, konnte Eritt für die Ausreise der Kleinen nach Deutschland sorgen. Eritt: „Heute ist Svetlana glücklich.“ Sie habe inzwischen einen Deutschen geheiratet, ein zweites Kind bekommen und einen legalen Aufenthaltsstatus.

JÖRN SCHULZ