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Reden ohne Erfolg

Claudia Roth, Fritz Kuhn und Joschka Fischer konnten die Stimmung an der Basis nicht umdrehen

„Die Urabstimmung kann so etwas wie Frieden in die Partei bringen“

aus Hannover BETTINA GAUS

Joschka Fischer trat im Pullover und ohne Sakko ans Rednerpult. So deutlich hat der Außenminister mit seinem Auftreten seit Jahren nicht mehr an die eigenen Wurzeln und an die lange Geschichte erinnert, die ihn mit seiner Partei verbindet. Aber nicht nur optisch, auch inhaltlich zog der alte Fuhrmann alle Register: Er beschwor die Gemeinsamkeit der Partei („Wir haben eine gewaltige Aufgabe zu stemmen“), er wandte sich fast liebevoll an die Delegierten („Warum müssen wir es uns eigentlich immer so schwer machen?“), und er räumte seine bislang von ihm stets bestrittene Rolle als „heimlicher Vorsitzender“ ein: Diese informellen Machtstrukturen seien ja gerade „ein Ergebnis“ der offiziellen Parteistruktur.

Schließlich erinnerte Fischer sogar daran, dass ihm die Partei auch einiges schuldet: „Wir begegnen uns ja immer zweimal: Auf Parteitagen krieg’ ich’s dann, und im Wahlkampf heißt es: Joschka, komm!“ An dieser Stelle lachten auch Delegierte ein bisschen verlegen, die dem dringlichen Wunsch der grünen Führungsspitze nach einem möglichst reibungslosen Ablauf des Parteitages nicht entsprechen mochten.

Joschka Fischer hat auch auf Parteitagen der Vergangenheit nicht immer seinen Willen durchsetzen können. Im Allgemeinen aber stand am Ende seiner Reden wenigstens jeweils fest, ob es ihm gelungen war, die Delegierten von seiner Meinung zu überzeugen. Dieses Mal war das anders. Kaum jemals zuvor ist eine Stimmung im Saal so schwer einzuschätzen gewesen wie an diesem Samstag im Kongresszentrum von Hannover.

Wenig Zweifel bestanden allerdings von Anfang an daran, dass eine große Mehrheit dem Vorschlag zustimmen würde, die Mitglieder in einer Urabstimmung über eine Lockerung der in der Satzung verankerten Trennung von Amt und Mandat entscheiden zu lassen. Denn eine Urabstimmung gilt auch vielen Gegnern einer Satzungsänderung als legitimes Mittel der Basisdemokratie. Hinzu kommt, dass für den entsprechenden Beschluss die einfache Mehrheit der Delegierten genügte.

Eine solche einfache Mehrheit hätte sich seit Jahren auch für eine Lockerung der Trennung von Amt und Mandat finden lassen. Doch dafür wird eine Zweidrittelmehrheit der Stimmen gebraucht – ebenso wie auch für die beantragte Ausnahmeregelung, die es den bisherigen Parteivorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn erlaubt hätte, bis zum Abschluss der Urabstimmung im Amt zu bleiben.

Würde es dafür reichen? Am frühen Nachmittag sah es bereits für kurze Zeit so aus, als müssten die beiden alle Hoffnung fahren lassen: Da stimmten immerhin 300 von 711 Delegierten dafür, sich mit dem Thema Satzungsänderung überhaupt nicht zu befassen – also weit mehr als ein Drittel. Unmut darüber, ein zweites Mal innerhalb von nur wenigen Wochen dieselbe Debatte über die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat führen zu müssen, mischte sich mit dem Verdacht, der unbequeme Beschluss des letzten Parteitages solle einfach ausgelöscht werden. Keine günstigen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Amtszeit von Claudia Roth und Fritz Kuhn.

Und dann ging es stundenlang um ganz andere Fragen. Offenbar sollte der Eindruck vermieden werden, die Partei beschäftige sich nur noch mit sich selbst. So fand denn vor der Satzungsdebatte eine Aussprache zu allgemeinen politischen Themen statt. Die allesamt wichtig waren – dieses eine Mal aber nur eine Minderheit zu interessieren schienen.

Normalerweise ist die Disziplin der Delegierten auf grünen Parteitagen geradezu beängstigend. Konzentriert verharren sie auf ihren Plätzen. Ungeübten, schwachen Rednern wird ebenso aufmerksam gelauscht wie amtierenden Ministern. Aber dieses Mal war eben alles anders. Dichte Rauchschwaden zogen durch das Restaurant und durch den Gang vor dem Versammlungssaal, wo sich die Delegierten drängten. Wer im Saal geblieben war, musste vom Präsidium mehrfach zur Ruhe ermahnt werden. Die Spannung stieg. Und je länger sich der Abend hinzog, desto mehr Delegierte meinten, nun habe sich die Stimmung doch gewandelt. Die Chancen für Claudia Roth und Fritz Kuhn stünden weit besser als noch vor ein paar Stunden.

Aus den Reihen der Parteiprominenz fand sich niemand, der sich mit einem Plädoyer gegen die beantragte Ausnahmeregelung zu Wort melden wollte. Dafür gaben die beiden Vorsitzenden ihr Bestes. Fritz Kuhn lernen die Delegierten von einer bislang ziemlich unbekannten Seite kennen: Der scharfzüngige, oft zur Polarisierung neigende Politiker warb in eindringlichen Worten um Unterstützung und bemühte sich um Integration aller Seiten: Es sei verständlich, dass beide Seiten „genervt“ seien. „Seid doch mal ehrlich: Es ist doch ein Thema, das wir alle über haben.“ Und: „Es ist keine Katastrophe, wenn Claudia und ich nicht kandidieren können. Aber es ist die Frage, ob es klug ist.“

Claudia Roth wandte sich in einer sehr persönlichen Rede an den Parteitag: „Ich wünsche mir auch Vertrauen.“ Sie hätte nicht mehr kandidiert, wenn der Wunsch nach einer Urabstimmung nicht von der Basis gekommen wäre: „Aber es waren die Kreisverbände, es waren Landesverbände, es waren Landesvorstände.“ Sie rief zum Vertrauen dazu auf, „dass die Urabstimmung so etwas wie Frieden in diese Partei bringen kann“.

Sehr herzlicher, lang anhaltender Beifall belohnte die Redebeiträge der beiden Parteivorsitzenden. Geschafft? Nein. Einige Delegierten wollten mit ihrem Applaus offenbar vor allem zum Ausdruck bringen, dass sich ihr Abstimmungsverhalten nicht gegen Roth und Kuhn persönlich richtete, sondern inhaltlich begründet war. Am Ende fehlten acht Stimmen für die notwendige Zweidrittelmehrheit.

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