piwik no script img

Stetig Nachschub für die Ölpest

Später Wechsel in Spaniens offizieller Katastrophenpolitik: Regierungschef Aznar räumt Fehler und Fehleinschätzungen ein. Derweil laufen täglich 125 Tonnen Schweröl aus

MADRID taz ■ Spaniens Regierungschef José María Aznar ist aus der Versenkung aufgetaucht. Drei Wochen nach dem Untergang des Tankers „Prestige“ vor der Küste Galiciens wagte sich der Konservative gestern erstmals zu dem Thema an die Öffentlichkeit. Er wählte die beste Sendezeit im staatlichen Fernsehen TVE, um sich bei den Betroffenen zaghaft zu entschuldigen. „Es kann sein, dass wir zu spät gekommen sind und einige Fehler begangen haben“, erklärte Aznar, der den Unfall, nach wochenlangem Kleinreden durch seinen Vize Mariano Rajoy, jetzt als „das größte ökologische Desaster Spaniens“ bezeichnet. Aznar will nun doch noch „sobald als möglich“ nach Galicien reisen.

Dort erwartet den Regierungschef dann vermutlich eine Küste, die eine dritte Ölpest hinter sich hat. Denn nach einem Windwechsel treiben die Ölflecken jetzt wieder Richtung Land. Die Fischer versuchen das Schweröl mit großen, engmaschigen Schleppnetzen abzuschöpfen, um so die fisch- und muschelreichen Rías Baixas zu schützen.

Womit sie allerdings nicht gerechnet haben: Ein Teil des Öls schwimmt nicht an der Oberfläche. Es treibt vielmehr in drei bis vier Meter Tiefe. Diese Teppiche können nur schwer ausgemacht werden. Die fjordähnlichen Rías Baixas laufen somit Gefahr einer Grundverseuchung.

Die Tauchgänge des in Frankreich angeheuerten Spezial-U-Bootes „Nautile“ lassen noch Schlimmeres befürchten. Sowohl im Heck als auch im Bug des am 19. November 250 Kilometer vor der nordwestspanischen Küste untergegangenen Tankers wurden Risse festgestellt. Täglich laufen nach Angaben von Vize Rajoy 125 Tonnen Schweröl aus – etwa 80 Tonnen aus dem Bug, 45 Tonnen aus dem Heck. Die Fracht der „Prestige“ hat sich also nicht, wie von spanischen Wissenschaftlern vorhergesagt, dank der niedrigen Wassertemperatur auf 3.600 Meter Tiefe in den Tanks verfestigt.

Wie viel der einst geladenen 77.000 Tonnen Schweröl sich noch dort befinden, darüber streiten die Experten. Die spanischen Behörden gehen davon aus, dass die „Prestige“ auf ihrer Irrfahrt und beim Untergang insgesamt 20.000 Tonnen verloren hat. Unabhängige Experten glauben an 30.000 bis 40.000 Tonnen. Sie dürften Recht behalten, denn bisher wurden von der Meeresoberfläche und an den Stränden bereits 23.000 Tonnen Schweröl eingesammelt.

Greenpeace, das sein Schiff „Rainbow Warrior“ an die Unglücksstelle geschickt hat, verlangt, dass die Tanks leer gepumpt werden, bevor sie endgültig aufbrechen. Dies wäre mit einem hohen technischen Aufwand verbunden. Der Vizepräsident und Sprecher der spanischen Regierung Rajoy, der den Krisenstab leitet, schweigt über ein mögliches Vorgehen. Er wolle erst die endgültigen Ergebnisse der Studien des „Nautile“-Teams abwarten. REINER WANDLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen