: Die Insel der Seligen
Mompox, eine Kleinstadt im Norden Kolumbiens, die wie eine tropische Filmkulisse wirkt und von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde, ist dem Dauerkonflikt im Andenland bisher entgangen
von WERNER HÖRTNER
Es ist schon ein gewisser Trost, wenn auch die Einheimischen schwitzen – und wenn sie, die Nachfahren von Indios und schwarzen Sklaven und andalusischen Eroberern, offenbar genauso unter der schwülen Hitze leiden wie der weißhäutige Mitteleuropäer.
Mompox war bisher nur ein von märchenhaften Bildern besetzter Name für mich, jener Ort am Unterlauf des Rio Magdalena, in einer Tieflandsenke inmitten von Sümpfen, Naturkanälen und Flussarmen gelegen, den ich mir als Brutstätte von Moskitos und Malaria vorstellte. Ein Dornröschenort inmitten der Tropen, fernab jeglicher Verkehrsverbindungen, bekannt für seine Goldschmiedekunst, vor allem wegen Totó, dem international wohl renommiertesten Export-„Artikel“ dieser vergessenen Gegend. Totó la Momposina, die hinreißende Sängerin und Tänzerin aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Mompox, die 1982 in Stockholm während der Nobelpreisverleihung an ihren Landsmann Gabriel García Márquez aufspielte, dessen Erfolgsroman „Die Chronik eines angekündigten Todes“ dann wenige Jahre später mit Ornella Muti in der Hauptrolle in Mompox verfilmt wurde.
Wie in ganz Kolumbien, so ist auch in dieser Region der Tourismus praktisch zum Erliegen gekommen. Und dies, obwohl Mompox eine der wenigen Oasen der Ruhe und Sicherheit in Kolumbien darstellt: In der gesamten Tiefebene hat sich keine einzige der bewaffneten Konfliktparteien angesiedelt. Nur bei der Anfahrt vom Norden her gibt es einige neuralgische Punkte, wo man entweder von den Paramilitärs oder der Farc- oder ELN-Guerilla oder „gewöhnlichen Kriminellen“, wie es in Kolumbien heißt, aufgehalten und entführt werden kann …
Schon wenige Jahre nach der Ankunft der ersten Spanier an der Karibikküste des heutigen Kolumbien wurde am Unterlauf des Río Magdalena, des größten Flusses des Landes, Mompox gegründet. Als sich der Kazike Mompox nach Widerstand schließlich doch Alonso de Heredia ergeben musste, gründete der Spanier in dieser Gegend einen Handelsstützpunkt und nannte ihn, zu Ehren seines Chefs Juan de Santacruz, Gouverneur von Cartagena, und des indianischen Häuptlings, dessen Kriegskunst er offenbar bewunderte, Santa Cruz de Mompox.
Die Stadt entwickelte sich sehr rasch zum wichtigsten Stützpunkt auf der Schifffahrt ins Landesinnere und kam schnell zu großem Reichtum. Nicht nur des Handels wegen, sondern vor allem wegen des „Quintal“. Vom ganzen Gold, das über den Magdalena-Fluss und den Hafen Cartagena nach Spanien verschifft wurde, konnte Mompox ein Fünftel für sich einbehalten. Hier wurde das wertvolle Metall gelagert und wartete auf die spanischen Galeeren, die es dann ins „Mutterland“ brachten. Eine Lagerung in den Küstenstädten selbst war wegen der Raubzüge der Piraten zu gefährlich.
Das viele Gold, mit dem die Stadt buchstäblich überhäuft wurde, verhalf ihr nicht nur zu ungeheurem Reichtum, sondern förderte auch die Entwicklung einer hoch stehenden Verarbeitung von Edelmetallen. So entstanden in Mompox schnell Zünfte der Goldschmiede, der Silberschmiede, der Juweliere, der Gold- und Silberschläger, die das Metall zu dünnen Lamellen schmiedeten, mit denen dann u. a. die Altäre, Tabernakel und Säulen der wie aus dem Boden schießenden Kirchen ausgeschmückt wurden. Denn der Reichtum zog auch schnell die Kirche an: Schon vier Jahre nach der Gründung 1540 ließen sich die Dominikaner in Mompox nieder, im Laufe der nächsten Jahrzehnte folgten die Franziskaner, Augustiner und Hospitaliter. Und der Handelsumschlagplatz war noch keine dreißig Jahre alt, da entstand bereits eine Universität, die erste der kolumbianischen Küstenregion. Mompox ist heute noch ein Zentrum der künstlerischen Gold- und Silberverarbeitung in Kolumbien, der entsprechende Schmuck ist sein besonderes Markenzeichen.
Edilberto Arevalo Montesino ist seit Beginn des vergangenen Jahres Bürgermeister der Gemeinde Mompox mit 60.000 Einwohnern, von denen etwa die Hälfte im Stadtgebiet wohnt. Politisch kommt er von den „Gaitanístas“, einer linken Strömung der Liberalen Partei. Der jugendlich wirkende kämpferische Alkalde hat kein leichtes Amt übernommen. Sein Vorgänger hat ihm nicht nur zahlreiche ungelöste kommunale Probleme vererbt, sondern auch einen Schuldenberg. Der Bürgermeister hat hochtrabende Pläne. Er will die Straße von der Karibikküste, deren Asphaltierung hier endet, weiter ausbauen. Eine Brücke über den Magdalena-Arm bei Guamal soll einen schnellen Anschluss an die Hauptstraße Cartagena–Bogotá ermöglichen.
In der großen, fruchtbaren Schwemmlandtiefebene zwischen den Flüssen Magdalena, Cauca und San Jorge und verschiedenen Seitenarmen will er 22.000 Hektar zur landwirtschaftlichen Nutzung kultivieren, vor allem zum Anbau von Orangen, die dort besonders gut gedeihen. Im touristischen Bereich setzt der Bürgermeister auf den Ausbau des Kultur- und Ökotourismus.
Das größte Projekt und eine Lieblingsidee des Bürgermeisters ist es, Mompox seine einstige Funktion – und Quelle des Reichtums – als Hafen wieder zurückzugeben. Anfang des 19. Jahrhunderts fand die Blütezeit der reichen Kolonialstadt ein jähes Ende, als auf Grund eines Naturereignisses – wahrscheinlich eines Erdbebens – der Magdalena-Fluss seinen Lauf änderte und sich Mompox plötzlich an einem Nebenarm dieses größten Flusses Kolumbiens wiederfand. Die Handelsschifffahrt folgte dem neuen Flusslauf, und die Stadt verfiel in einen Dornröschenschlaf – der allerdings heute das große Kapital von Mompox darstellt: eine Stadt mit einer unversehrten Kolonialarchitektur aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, eine romantische Filmkulisse der Vergangenheit, von der Unesco zum Weltkulturerbe der Menschheit deklariert. Doch in Zeiten des Bürgerkriegs ist mit dem Tourismus kein Geld zu machen. Die Architektur von Mompox führt einen auf eine faszinierende Reise in andere Zeiten und einen anderen Kontinent. Man fühlt sich nach Sevilla versetzt, ins ferne Andalusien, von wo die ersten Eroberer kamen, um hier zu versuchen, ihr heimisches Ambiente nachzubauen.
David Ernesto Peñas Galindo ist so etwas wie der Geschichtsschreiber der Stadt, Autor mehrerer Bücher zur Kolonialgeschichte, Professor am Gymnasium von Mompox. Er erklärt die Entstehung jenes für diese Stadt typischen Menschenschlags dunkler Hautfarbe, doch mit teilweise indigenen Gesichtszügen. In der Kolonialzeit wurden die Schiffe in Ufernähe mit langen Stangen vorangetrieben. Für diese Arbeit wurden zuerst indianische Männer herangezogen, was dazu führte, dass die männliche einheimische Bevölkerung binnen weniger Jahrzehnte praktisch ausstarb: Zu Tausenden fielen die „Bogas“, wie die Schiffer genannt wurden, vor Erschöpfung ins Wasser und ertranken. Dann wurden afrikanische Sklaven eingeführt. Um für genügend Nachkommen – neue Arbeitskräfte – zu sorgen, hoben die Behörden das in der Kolonialzeit herrschende Rassenmischungsverbot auf bzw. tolerierten die Verbindung von afrikanischen Männern mit indianischen Frauen.
Professor Peñas Galindo unterrichtet auch in der „Escuela Taller“ im ehemaligen Augustinerkloster von Mompox. Es handelt sich dabei um eine sehr praxisbezogene, zweijährige Fachausbildung von Jugendlichen zwischen 17 und 23 Jahren. Dieses von der spanischen Regierung finanzierte Werkstatt-Schule-Programm wird mittlerweile in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern durchgeführt. In Mompox erhalten jeweils 50 Jugendliche eine Ausbildung in Kunsttischlerei, Goldschmiedekunst, Keramik, Schmieden und Gebäuderestaurierung.
Am Platz der sehenswerten Barbarakirche führt die Calle Albarrada, auch Straße Nummer eins genannt, vorbei, die Uferstraße, deren Nummerierung rein topografisch bedingt ist. Nur ab und zu kommt ein Moped oder ein Fahrrad den sandigen Weg entlang. Hier kann man am Abend sitzen, sich an der – relativ – kühlen Brise erfreuen und vor allem eine Ruhe und eine friedliche Atmosphäre genießen, wie man sie sonst im Kolumbien von heute kaum antrifft. Es erscheint unglaublich, dass nur wenige Stunden weiter flussaufwärts, in Barrancabermeja, die Paramilitärs Gewerkschaftsaktivisten und alle vermeintlichen Guerilla-SympathisantInnen umbringen und im Süden desselben Departments Bolivar die Landbevölkerung seit Jahren in die blutigen Auseinandersetzungen hineingezogen wird – ein Krieg, der seit der Aufkündigung des Friedensprozesses durch Präsident Pastrana im vergangenen Februar noch an Härte zugenommen hat.
Wenn der Frieden ins Land zurückkehrt, so hofft Bürgermeister Arevalo, dann werden auch die TouristInnen irgendwann wieder nach Mompox kommen und das architektonische Juwel am Rio Magdalena seiner Versunkenheit entreißen. Leider wird er noch einige Zeit warten müssen.
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