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Freiheit, die ich meine

Nie würde J. Mascis aus einem Flugzeug springen. Aber im ColumbiaFritz stellt er sich heute Abend auf die Bühne

Einige werden das jetzt nicht glauben, aber: J. Mascis hat Humor. Zugegeben: einen etwas skurrilen Humor und zudem so fein, dass man ihn allzu leicht übersieht. Der äußert sich dann beispielsweise darin, seine neue Platte „Free So Free“ zu taufen; auf dieser Songs zu singen, mit Titeln wie „Freedom“ oder „Set Us Free“, und dann noch verlauten zu lassen, der Grund dafür sei, dass ausgerechnet Mascis, der legendärste Schnarchsack in der Geschichte der populären Musik, das Fallschirmspringen als neue Leidenschaft entdeckt hätte. Eine hübsche kleine Geschichte, von der Presse dankbar aufgenommen.

Tatsächlich aber, gesteht Mascis im Interview, ist die Sache mit der Fallschirmspringerei die Erfindung eines Freundes, dem er einen Nebenverdienst verschaffte und ihn den Infozettel der Plattenfirma schreiben ließ. „Ich würde nie im Leben auch nur darüber nachdenken, aus einem Flugzeug zu springen“, sagt er, blickt dabei durch sein monströs hässliches Brillengestell immer haarscharf an einem vorbei, verzieht keine Miene und verbirgt erfolgreich, ob er jetzt peinlich berührt, insgeheim amüsiert oder doch vor allem gelangweilt ist. Wohl von allem etwas. Wahr ist allerding, dass Mascis, seit er sich vor mehr als einem Jahr bei einem Autounfall in Schweden das Rückgrat anknackste und nur knapp einer Querschnittlähmung entging, eine optimistischere Einstellung zum Leben gewonnen hat.

Trotz neuer Perspektive lebt der mittlerweile 36-jährige Mascis eher noch bewegungsärmer als früher, berichtet er, sogar sein geliebtes Golfspiel hat er zuletzt vernachlässigt. Stattdessen aber seine beste Platte eingespielt seit dem Ende von Dinosaur Jr. – wie gewohnt im Alleingang in „Bob’s Place“, dem nach seinem Hund benannten Heimstudio in Amherst, Massachusetts. Seitdem Mascis in den 80ern mit bis dahin ungehörten Gitarrenwänden den Indie-Rock definieren half und Grunge-Rock vorwegnahm, hat er nicht wieder solch ebenso erhabene wie eingängige Songs geschrieben. Der Sound des begnadeten Autodidakten, in den letzten Jahren vorsichtig durch neu erlernte Instrumente erweitert, stützt sich nun wieder vor allem auf den Klang multipler Gitarren, die das Terrain zwischen lieblichem Folk und verzerrtem Lärm beschreiten, dabei gleichzeitig freundlich und fies klingen, zart und monströs, melodiös und atonal.

Doch schon Dinosaur Jr. waren eine eher mittelmäßige Live-Band, weil sie es selten verstanden, ihren komplexen, von sich überlagernden Gitarrenlinien geprägten Sound auf der Bühne adäquat umzusetzen. Da am Ende seiner letzten Tour mit einer kompletten Band ein Minusstand, kommt Mascis nun ganz allein. Vor wenigen Monaten konnte man im Roten Salon hören, wie das klingt. Leider: auch nicht so toll. Denn statt sich auf die klassische Eleganz seiner Songs zu verlassen, versucht Mascis mit dem ziemlich rüden Einsatz von Effektpedalen die Dynamik der Plattenaufnahmen nachzustellen. Das schmerzt bisweilen, aber schließlich ist man eh deswegen gekommen, ein zunehmend grauer werdendes musikalisches Genie zu betrachten, bevor es sich womöglich für immer und ewig aufs heimische Sofa zurückziehen wird.

THOMAS WINKLER

heute, ColumbiaFritz, 20.30 Uhr

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