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Plauderstunde auf Arabisch

Im Windschatten von al-Dschasira hat sich das Arab News Network (ANN) etabliert – der Londoner Fernsehsender gehört einem abtrünnigen Cousin des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad

„Cha, cha, cha, Coca-Cola“, singt der ANN-Marketingchef und tänzelt durchs Büro

aus London JULIA GERLACH

„Wir wollen die Zuschauer erleuchten“, sagt Mohieddin Lazikani, „es geht uns darum, die Ideen der Aufklärung und der Demokratie in der arabischen Welt zu verbreiten.“

Doktor Mohieddin, wie ihn seine Kollegen ehrfurchtsvoll nennen, sieht aus wie der jüngere Bruder von Karl Marx: Er trägt den Bart voll und die Haare in einem buschigen Kranz. An seinem Revers prangt eine rote Plakette, es ist allerdings kein Parteiabzeichen, sondern ein Porträt von Shakespeare. Er ist ein arabischer Nationalist mit europäischer Bildung. „Dem ganzen Fanatismus müssen wir etwas entgegensetzen“, sagt er und verschwindet dann eilig im Studio.

In wenigen Minuten geht er auf Sendung. „Laterne im Dunkeln“ heißt sein Programm. Es läuft täglich im arabischen Satellitenkanal ANN, dem Arab News Network.

Seit Mai 1997 sendet der Kanal aus bescheidenen Räumen in London. „Wir sind fast so lange wie al-Dschasira auf Sendung“, sagt ANN-Sprecher Abdelkarim al-Hajj. Doch ANN ist – zumindest im Westen – längst nicht so bekannt wie der weltberühmte Kanal aus Qatar: Bei ANN wurden noch keine Videokassetten mit Bin-Laden-Botschaften abgegeben. Der Sender in London ist, anders als al-Dschasira, antireligiös und hat noch keine exklusiven Bilder gedreht, die europäische oder amerikanische Sender ihnen abkaufen wollten. Bei ANN wird in erster Linie geplaudert: 90 Prozent der Sendezeit werden mit Diskussionssendungen bestritten.

Bei Doktor Mohieddin sitzen jetzt ein saudischer Oppositioneller und ein irakischer Schriftsteller im Studio. Die Schwäche der Arabischen Liga angesichts der Krise im Irak ist das Thema. Zuschauer können anrufen, ihre Meinung ist gefragt. „Diese Art von Sendungen gefällt den arabischen Zuschauern“, sagt Programmdirektor Michael Burmen, „wir sitzen gerne im Café und diskutieren. Außerdem sind sie natürlich auch wirklich billig zu produzieren.“

Nach der neuesten Marktanalyse hat ANN durchschnittlich 20 Millionen Zuschauer. Das sind sehr wohlmeinende Schätzungen, denn Einschaltquoten gibt es in der arabischen Welt nicht. „Wir wissen, dass wir sehr viel mehr Zuschauer haben, wenn es in Palästina mal wieder richtig knallt“, sagt Abdulkarim al-Hajj. Dann rufen besonders viele an und wollen live ihre Meinung sagen. „Wir haben absolute Meinungsfreiheit, es darf nur niemand beleidigt werden“, erklärt er die Spielregeln.

Der Konflikt in Palästina ist das wichtigste Thema des Senders. Auch heute beginnen die Nachrichten mit Neuigkeiten aus Israel. Es gab ein Selbstmordattentat. Ein kurzer Bericht fasst die Ereignisse zusammen. Sehr nüchtern. Vier Tote und 12 Verletzte. Der Attentäter wird „einer, der sich zum Mätyrer machen wollte“ genannt. Trotz der Nachrichtensprache wird deutlich, bei ANN hält man wenig von den lebendigen Bomben. „Selbstmordattentate sind ein schwerer politischer Fehler. Die Jugendlichen sprengen sich in die Luft, und dann schlägt das israelische Militär zurück und zerstört die Dörfer“, sagt Mohammed Mascharga, der Autor des Beitrags. Er weiß, wovon er spricht. Bis vor drei Monaten lebte er selbst auf der Westbank, dann wurde er mit seiner Familie vertrieben und kam nach London.

Politisch steht der Sender voll hinter Jassir Arafat. ANN hat ein Studio in Ramallah und einen weiteren Korrespondenten im Gaza-Streifen. Gerne macht der Sender auch seine Zuschauer zu Reportern: Sie rufen an und berichten, was um sie herum passiert: „Einmal ist bei uns sogar live jemand gestorben“, berichtet der Pressesprecher. „Da hatte uns ein Zuschauer angerufen und aus dem belagerten Dschenin berichtet: Jetzt treten sie die Tür ein, hatte der gesagt. Kurz darauf hörte man einen Schuss und unser Gesprächspartner war tot.“

„Cha, cha, cha Coca-Cola“, singt Abdulkhaleq Widaa. Der ANN-Marketingchef tänzelt durch sein Büro: „Cha, cha, cha, Coca-Cola“. Dies sei die Melodie eines ganz tollen Werbespots im Sudan: „Super Musik, tolle Bilder, den müssen wir einfach auch bei uns senden“, sagt er. Und so hat er in der Londoner Coke-Zentrale angerufen und den Chef überzeugt, dass sie bei ANN ein paar Werbeminuten kaufen. Doch hier geht es nicht wirklich ums Geld: Die 10 Millionen Jahresetat des Senders stammen aus der Schatulle des ANN-Besitzers. „Dennoch ist die Werbung für uns wichtig“, sagt Widaa. „Es bringt Glaubwürdigkeit, wenn große Firmen bei uns werben.“ Außerdem seien diese Werbeclips auch einfach gute Filme. „Die Leute mögen so was“, sagt er und tänzelt noch ein wenig zu der Coca-Cola-Musik in seinem Kopf.

Der Besitzer von ANN ist Soma al-Assad, ein Cousin des syrischen Präsidenten. Seit Soma al-Assads Vater vor einigen Jahren versuchte, gegen Baschars Vater zu putschen, lebt Somas Zweig der Familie im Exil. Und auch wenn er die Hoffnung auf den Sessel des Regierungschefs wohl noch nicht ganz aufgegeben hat – ein Konzept zur Regierungsübernahme lässt sich in den ANN-Plauderstunden nicht erkennen.

Der antireligiöse Kurs des Senders dient dafür der Assad-Familie insgesamt. Sie gehört zur Minderheit der Alawiten, und ihre gefürchtetsten Gegner sind die Islamisten. Erstaunlicher ist da schon, dass der Clan einen Sender finanziert, der sehr offen und sehr frei berichtet. „Ich kann wirklich selbst bestimmen, was ich machen will“, sagt Moderator Zouhair Latif. Er leitet „Mal ehrlich!“, ein wöchentliches Programm über Menschenrechte in der arabischen Welt. Tatsächlich werden hier sehr direkt und ohne Hemmungen Missstände in arabischen Ländern angesprochen. Selbst die in Syrien.

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