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Simsen, bis der Bus kommt

Der neue BVG-Chef Andreas Graf von Arnim verspricht, weniger Landessubventionen zu verbrauchen und den Kundenservice zu verbessern – etwa durch Informationen über Busverspätungen aufs Handy

Interview RICHARD ROTHER und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr von Arnim, Sie leiten seit knapp drei Monaten das größte Nahverkehrsunternehmen Deutschlands. Doch niemand kennt Sie. Wer sind Sie?

Andreas von Arnim: Ich bin seit sechs Jahren Wunschberliner, komme aus einer Familie, die seit 700 Jahren in Brandenburg ansässig ist. Sowohl die Region als auch die Stadt sind mir vertraut, und ich wünsche mir schon länger, hier auch aktiv zu werden. Als ausgeprägter Dienstleister ist es für mich eine besondere Aufgabe, das Traditionsunternehmen BVG, dem viele mit Liebe und mit Skepsis begegnen, noch besser und wettbewerbsfähig zu machen.

Welche Visionen haben Sie von der BVG, wie soll das Unternehmen in zehn Jahren aussehen?

Das Erfreuliche an der BVG ist, dass es sie immer geben wird. Wir müssen die richtige Balance finden zwischen einem optimalen Kundenservice und einem minimierten Aufwand für die Staatskasse. Das sind zwei Elemente der Wettbewerbsfähigkeit. Es geht nicht nur darum, Kosten zu sparen, sondern auch darum, die Kunden und ihre Bedürfnisse – wie Linienführungen, Komfort oder Taktzeiten – zu verstehen und an das Unternehmen zu binden.

An welcher Stelle wollen Sie Prioritäten setzen?

Ich werde die Sanierungsprogramme meiner Vorgänger fortsetzen und bündeln. Stärken werde ich die Kundenorientierung. Zum Beispiel das Fahrgastinformationssystem Daisy, das anzeigt, wann die nächste U-Bahn kommt. Das werden wir im nächsten Jahr auch für die Straßenbahn haben und an den Brennpunkten auch beim Bus. Wo das noch nicht geht, wollen wir diese Informationen per Handy und SMS anbieten. Der Kunde gibt einfach die Nummer der Haltestelle, die alle durchnummeriert sind, ein und erfährt dann, wann der nächste Bus kommt. Darüber hinaus müssen wir die Anschlüsse optimieren. Und wir brauchen eine Präsenz von BVG-Mitarbeitern, die Kunden befragen.

Wir haben einen kleinen Test gemacht und sind mit U-Bahn und Auto zu diesem Interview angereist. Trotz Rushhour waren wir beide gleich schnell. Schlecht, wenn Sie die Berliner Autofahrer zum Umsteigen einladen wollen?

Der Autofahrer hatte wahrscheinlich viel Glück bei der Parkplatzsuche. Wir können Kunden nicht pauschal ansprechen. Manchmal hilft es schon, wenn man in die Betriebe geht und die Mitarbeiter informiert, wie leicht sie mit der BVG zur Arbeit kommen. Ich bin realistisch genug. Ein Großteil unseres Kundenpotenzials ist weitgehend ausgeschöpft.

Erwarten Sie Hilfestellung vom Senat? Etwa flächendeckende Parkraumbewirtschaftung?

Ich will niemandem vorschreiben, wie er sich fortbewegen soll. Mein Job ist es, attraktive Angebote zu machen.

Sehr liberal. Die Frage ist aber: Rechtfertigt der Service der BVG die riesigen Subventionen, die die Berliner ihrem Nahverkehrsunternehmen schenken?

Ich halte die Subventionssumme langfristig nicht für angemessen. Das ist aber ein Thema, bei dem wir an mehreren Schrauben drehen müssen. Einerseits die Frage, ob wir überall das richtige Angebot für den richtigen Fahrgast haben. Wir fahren ja zum Teil beleuchtete Luft durch die Gegend. Wir müssen auch über Taktveränderungen nachdenken, was natürlich ein Politikum ist.

Und der BVG-Wasserkopf?

Wir erbringen mit den derzeit rund 13.500 Mitarbeitern dieselbe Leistung wie mit den ursprünglich knapp 28.000 Mitarbeitern. Das ist eine fantastische Produktivitätssteigerung. Im Vergleich zu den Wettbewerbern haben wir aber immer noch zu viele Mitarbeiter und deutlich höhere Personalkosten. Das sind historisch gewachsene Rahmenbedingungen.

Mit wie vielen Mitarbeitern ließen sich die Aufgaben der BVG erfüllen?

Die Frage stelle ich mir auch gerade.

Sie haben in diesem Jahr eine Million Fahrgäste hinzugewonnen, aber trotzdem noch leichte Verluststeigerungen.

Wir haben in 2001 nicht die gewünschte Tarifanpassung erhalten. Das führt dazu, dass die Bargeldeinnahmen rückläufig waren, sowohl bei der S-Bahn als auch bei der BVG.

Die nächste Fahrpreiserhöhung ist also so sicher wie das Amen in der Kirche?

Preisveränderungen sind weltweit immer ein Politikum. Wir werden Preissenkungen, unveränderte Preise und an der einen oder anderen Stelle auch Preisanpassungen vorschlagen.

Welche Tickets sollen teurer werden?

Im Moment kalkulieren wir das. Hintergrund ist, dass unsere Fahrgäste den Substitutionseffekt gezielt nutzen, sich ein richtiges Spektrum aus Wochen-, Monats-, Tages- und Einzelkarten zusammenstellen. Es ist nicht so, dass wir linear Preise erhöhen. Wenn es tarifliche Veränderungen gibt, finden sie in der Regel zum 1. August statt.

Was halten Sie langfristig für sinnvoller: Fusion von BVG und S-Bahn oder Konkurrenz untereinander?

Ich bin da völlig ergebnisoffen. Einiges spricht für zwei Unternehmen, was aber nicht zu Lasten der Bevölkerung gehen darf, die sich ein integriertes Nahverkehrssystem wünscht. Mindestens eine sehr enge Kooperation muss dauerhaft erreicht werden. Diese Frage müssen vor allem die Eigentümer, das Land Berlin und die Deutsche Bahn AG, klären.

Verkehrsforscher sind schon einen Schritt weiter und reden von Intermodalität, dem neuen Zauberwort für die organisatorische Verzahnung verschiedener Verkehrsmittel wie Bus und Privatauto zum Beispiel.

Mit Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen integrieren wir ja schon unterschiedliche Verkehrsträger. Auch Kleinbusse, Taxis können einbezogen werden. Wir sind die Letzten, die für solche Diskussionen nicht offen sind.

Gibt es im Hause BVG dazu einen Thinktank, der sich Gedanken in diese Richtung macht?

Nein, das wäre im Moment auch nicht der richtige Einsatz von Ressourcen. Jetzt wollen wir unser Netz besser gestalten und offen sein im Sinne des Dialogs mit denjenigen, die planerisch tätig werden. Solche Ideen zu entwickeln, ist Aufgabe des Senats.

Fühlen Sie sich gut aufgestellt für den von Brüssel verordneten europaweiten Wettbewerb?

Die Hände legen wir mit Sicherheit nicht in den Schoß, aber wir sind im Segment der großen Metropolen sicherlich besser aufgestellt als viele kleinere Unternehmen im Flächenbereich. Wettbewerb belebt das Geschäft, und ich bin froh darüber. Denn im Restrukturierungsprozess haben wir in den letzten eineinhalb Jahren etwas an Fahrt verloren. Aber keine Panik, in einem Jahr wird die europäische Nahverkehrslandschaft noch nicht komplett auf den Kopf gestellt werden.

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