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Zen oder Die Kunst des Flipperns

„Eight Ball de Luxe“ und das erste Modell in Großserienvollelektronik: Wie Flipperautomaten eine ganze Jugend begleitet haben und wie man sich nach Jahren noch einmal zum Abschiedsspiel über das „Theatre of Magic“-Gerät beugt. Betrachtungen nach einem letzten Abend voller Highscores

von DETLEF KUHLBRODT

Eigentlich hatte man die halbe Jugend am Automaten verbracht, zwei oder drei Jahre zumindest, die späten Siebziger. In den Freistunden oder nach der Schule. Im Hotel Stadt Hamburg, bei Schlangeneddy in Bad Segeberg. Keine Ahnung, wieso Schlangeneddy eigentlich Schlangeneddy hieß oder wie er ausgesehen hatte. Vermutlich war er mal Schausteller gewesen, wahrscheinlich hatte er schwarz gegeltes Haar. So stellt man sich das ja vor. In der Bar vom Hotel Stadt Hamburg – einer Kneipe, im Grunde genommen – war es jedenfalls gemütlicher als in dem Imbiss am ZOB, in dem auch zwei Geräte standen. Männer saßen an der Bar, und wir standen halt am Flipper.

Der Flipper hieß „Eight Ball de Luxe“, ein hervorragendes Gerät, recht übersichtlich strukturiert, anspruchsvoll zwar (drei Flipper!), jedoch ohne die Gimmicks, die bei einigen Geräten der frühen Achtziger überhand nehmen sollten – wie drei verschiedene Ebenen, Überbreiten, Multiball et cetera (wobei: Multiball ist schon Klasse). Beim „Eight Ball de Luxe“ gab es also einfach nur: links eine Bahn, rechts eine Bahn, halb links eine Sackgasse mit sechs Bonusschildchen und rechts, weiter unten, acht Eightballschildchen. Die Szenerie: ein Westernsaloon und ein Cowboy mit Hut, der gerade spielt.

Der „Eight Ball de Luxe“ war Nachfolgemodell des Modells „Eight Ball“, des ersten Geräts, das durchgängig in „Großserienvollelektronik“ gebaut wurde, wie es auf der schönen Seite www.flipper.de eines Flipperreparaturunternehmens heißt. Wusste man damals natürlich noch nicht, genauso wenig wie wie das gekommen war, dass wir da immer standen. Vielleicht hatte jemand den Kinofilm „Tommy“ gesehen – „Pinball Wizzard“! – oder dies wunderbar coole Interview, das Bob Dylan mal in einem Dokumentarfilm Flipper spielend gegeben hatte.

Wir standen halt da und flipperten. Man hatte beispielsweise mit S., der mittlerweile tatsächlich im Immobiliengeschäft ist, in der Freistunde am Vormittag starken Kaffee getrunken und was geraucht und dann halt am Flipper gestanden. Schachspielen war zwar eigentlich schöner, aber C. hatte sich ja umgebracht und stand als Gegner nicht mehr zur Verfügung. So stand man am Flipper; bekifft blinkten die Lampen, und alles schien zeitweise neu und schick zu sein, und ideologisch unterstützte einen ein Buch, das gerade im DuMont-Verlag erschienen war: „Zen oder Die Kunst des Flipperns“.

Später gab es auch Abende, an denen man nach der Arbeit im Kochlöffel-Imbiss zur Belohnung für das Geleistete am Flipper stand und leicht zwanghaft das ganze Geld, das man die Stunden zuvor im Imbiss verdient hatte, in den „Eight Ball de Luxe“ gesteckt hatte. Irgendwie machte das süchtig; man sagte sich, dies ist der letzte Ball, und verschob ihn halt so lange, bis das Geld weg war. Wobei es wohl eher so ist, dass man als Suchtcharakter den Flipper infizierte, als umgekehrt.

Die späten Achtziger hatte man an diesem doch ziemlich ramponierten „Truck-Stop“-Teil in der Berliner Bar Ex ’n’ Pop verbracht und sich flippernd unterhalten über die Dinge der Welt, während die anderen kickerten und Nick Cave und Blixa Bargeld vorne rumstanden. Dann aber war erst mal Schluss.

Bis zehn Jahre später B. vorbeikam und mich nach ein paar Monaten wieder überzeugte, dass Flippern doch ziemlich Klasse ist. Seitdem B. nicht mehr allein wohnte, war die Kreuzberger Kneipe, in der der Flipper stand, sein Wohnzimmer. B. war überzeugt gewesen, dass mit der D-Mark auch die Flipperautomaten verschwinden würden; dass die finsteren Global- und Multiplayer der Spielautomatenindustrie die Umstellung ihrer Maschinen auf den Euro zu teuer sein würde und dass sie deshalb ihre Geräte einfach abziehen würden. Es gebe, sagte er, ja ohnehin kaum noch Kneipen mit vernünftigen Geräten. Und Flipperautomaten seien ja ohnehin nicht mehr rentabel.

Vielleicht hatte er auch genau deshalb in den letzten drei Jahren ganz beträchtliche Summen in Ballys „Theatre of Magic“ gesteckt; vielleicht auch um der Flipperautomatenindustrie zu beweisen, dass ihre schönen Automaten eben doch rentabel sind. Die Euroumstellung war dann doch nicht so teuer wie erwartet (115 Euro pro Gerät), und die Flipper überlebten – auch der, der in der netten Kneipe stand, in der man den arbeitslosen Freund fast jeden Abend fand.

Doch nun, nach etwa sieben- oder achttausend Spielen, 21- bis 24.000 Kugeln, ungefähr tausend Freispielen und diversen Highscores war wirklich Schluss. In wenigen Tagen würde das Ding ausgetauscht werden, hatte der Wirt gesagt, und wir hatten uns getroffen, um ein letztes Mal im „Theatre of Magic“ zu spielen. Es war melancholisch. In dem 1995 von John Popadiuk entworfenen Spielgerät schienen unsere letzten drei Jahre aufbewahrt zu sein. Wir spielten und dachten an früher: wie das so war, als M. vor einem Jahr den Flipper tapfer boykottiert hatte wegen eines ruppigen Flipperautomatenreparierers, der ihn bei seiner Arbeit nicht hatte zusehen lassen wollen. Eine Weile hatte er da gar nicht mehr gespielt, eine Weile nur noch, wenn Freunde auch spielen wollten. Und dann war wieder alles wie früher gewesen. Man trank Weizen, rauchte Flipperfit, wenn’s grad nicht so lief, nur bestellte man keine Nachos mehr, weil plötzlich am Eingang der Langhaarigenkneipe ein großer blauer Kasten stand, in dem es Erdnüsse in kleinen blauen Nivea-Packungen für umsonst gab. Inzwischen waren die Nivea-Erdnüsse gerade durch kleine Kekssandwichs mit Schmelzkäse von de Beukelaer ersetzt worden. Interessant.

Interessant auch, dass wir erst jetzt entdeckten, dass wir beide eine seltsam asymmetrische Spielhaltung bevorzugten: den einen Flipper mit einem Finger, den anderen mit zweien bedienten. Merkwürdig dagegen, dass sich der Automat an diesem letzten Abend besonders freigebig, ja fast schon kooperativ zeigte. Dass wir uns ständig mit durchschnittlich guten Ergebnissen in die Bestenliste eintragen konnten (immer die Vornamensanfangsbuchstaben der abwesenden Freundinnen), machte ein wenig misstrauisch. Wahrscheinlich hatte der Wirt die alten Highscores gelöscht, um uns zu schmeicheln, um uns noch einen schönen Abend zu schenken.

Es würde ja eine Weile dauern, bis wir uns auf dem Neuen eingespielt hätten. Und von dem erfolgreichen Abend würde man noch eine Weile zehren können.

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