: Antworten für alle, aber ohne Gewähr
Holger Friese baut digitale Räume, in denen durch Interaktivität Kunst entsteht. Der Netzkünstler spielt mit den Erwartungen der Computernutzer
von DANIEL BOESE
Als die Interneteuphorie in Deutschland gerade so richtig losging, ergatterte Holger Friese die Domain antworten.de. Ein Glücksfall für den Berliner Medienkünstler, denn unter der einprägsamen Adresse begann 1997 seine bisher erfolgreichste Netzkunstarbeit: Monat für Monat landen etwa 20.000 Surfer in der Warteschleife der Seite, die als Gemeinschaftsarbeit mit Max Kossatz von thing.at enstand. Die Seite verspricht „Anworten auf alles, was Sie schon immer wissen wollten“.
Bis zur Antwort dauert es allerdings einige Zeit, denn man erhält bei antworten.de zunächst einmal nur eine Nummer, wie beim Einwohnermeldeamt: „Sie haben Nummer: 11, bitte haben Sie etwas Geduld!!“ Mit einem gebrochenen Soundloop im Hintergrund kann man dann eine Frage einschicken und weiter warten.
Das Spiel mit den Erwartungen der Computernutzer stellt nicht nur bei antworten.de eine zentrale Ebene dar, auf der sich die Arbeit entfaltet, sondern entpuppt sich überhaupt als der zentrale Aspekt von Frieses Arbeiten. Der Netzkünstler baut digitale Räume, die durch ihre Interaktivität eine Erfahrung von Kunst beim Computernutzer, dem Menschen mit der Maus in der Hand, provozieren.
Die Arbeit „unendlich, fast“, die auf der Documenta X zu sehen war, testete so die Grenzen des Webbrowsers. Das Browserfenster wurde komplett von einer monochrom blauen Fläche gefüllt, mit den Scrollbalken konnte man sich weiter in die blaue Tiefe vorarbeiten, was allerdings immer wieder durch das Nachladen der Grafiken aufgehalten wurde. Irgendwo ganz weit rechts unten war ein kleines Sternbild versteckt.
Fünf Jahre später ist aus der fast unendlichen Fläche dank erweiterten Arbeitsspeichers und schnelleren Modems eine große, aber doch sehr überschaubare Angelegenheit geworden. Aus Scrollen und Warten wird nun ein schnelles Durchrauschen – der Fortschritt der Technik frisst die Kunsterfahrung.
Eine weitere Ebene von Holger Frieses Werken besteht im Sichtbarmachen von Codes. Das Sternbild von „unendlich, fast“ war aus der Übertragung des Quellcodes für das Unendlich-Zeichen in eine Grafikdatei enstanden. Bei „B-CC_1444.pdf“ ging Friese von dem Digitalfoto einer Berliner Häuserwand voller Graffiti-Tags aus.
Er übersetzte die Schriftzüge in Vektorgrafiken und stellte sowohl die Vektoren als auch ihren Quellcode als Text großformatig auf eine Wand geklebt aus. Dabei ergeben sich aus den Textfetzen des Codes wieder neue Bedeutungssplitter.
Das Programmieren von Codes, Internetsites und digitalen Grafiken mit dem bisschen Widerstand gegen die Funktionalität, der ein Kunsterlebnis beim Nutzer provoziert, entsteht bei Holger Friese aus der alltäglichen Arbeit. Der gelernte Fotograf mit Diplom in Visueller Kommunikation lebt von Aufträgen als Kommunikationsdesigner, wobei er sich auch in der Kunstwelt bewegt. So programmierte er die Oberflächen für den Kunstserver thing.net Wien und New York, als der in der Mitte der Neunziger vom Klatsch der Art World im Mailboxbetrieb zur Vernetzung von Net Art überging. Auch an Installationen der Medienkünstlerin Julia Scher war er beteiligt, zum Beispiel an ihrem „Freaklab“.
Eine Arbeit im Jahr zu produzieren, nennt Friese als seinen eigenen Anspruch. In der Zwischenzeit arbeitet er hauptsächlich mit Angela Bulloch an der Produktion ihrer Pixelboxen, die in fast allen Farben des Spektrums leuchten können. Wenn der Computertüftler im Gespräch mal eben erklärt, warum alle Nachahmer der Boxen wie Interlübke oder andere Industriefirmen es nicht schaffen, die Farben wirklich zum Strahlen zu bringen, klingt eine deutliche Portion Stolz auf das Funktionieren der Konstruktion durch.
Genau dieses Moment des Funktionierens von technischen Lösungen ist es, das Friese in seinen Arbeiten immer wieder bricht. So veränderte er für ein Projekt von Shift e. V. ein Level des Ur-Ego-Shooters Quake mit Teleportern bis zur Unspielbarkeit. Bei „oT.bsp-Quake Level“ gibt es zwar Munition en masse, aber kein Weg führt zum Gegner. Stattdessen tauchen immer wieder Slogans aus Frieses Arbeiten im Fadenkreuz der Pumpgun auf.
Genauso führt das endlose Warten auf antworten.de den Fragesteller unweigerlich zur nächsten Frage: Wann gibt es denn hier eine Antwort auf alles? Die Ausstellung der eingeschickten Fragen, vor kurzem im BGF in Berlin zu sehen, zeigt, dass antworten.de von der großen Masse der User nicht als Kunstprojekt wahrgenommen wird. Vielmehr werden wirkliche Antworten auf drängende Fragen erwartet: sei es für das Referat am nächsten Tag oder Hilfe, wie man den netten Jungen, mit dem man schon seit Wochen flirtet, endlich für sich gewinnt. Daneben gibt es viele Mails, die voll Wut über die vermeintliche Verarschung sind – es werden Reaktionen gefordert.
Der enttäuschte Glauben an die Institution hinter der Wartenummer macht sich Luft. Es scheint, als ob antworten.de den viel formulierten Anspruch der Netzkunst auf Demokratisierung und Grenzüberschreitung einlöst, indem es seine Wirkung außerhalb des Referenzsystems Kunst entfaltet.
Der Metablick des Kunstbetrachters reduziert die Arbeit auf ihr Konzept, während der Surfer, der über die Zufallseingabe die Seite findet, eine ungetrübte Auseinandersetzung erfährt. Und für manche Fragen gibt es dann auch eine Antwort vom Antwortenteam.
Im Internet: www.antworten.de; www.fuenfnullzwei.org.
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