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Hongkong übt sich in Demokratie

In der früheren britischen Kronkolonie tobt ein Streit über ein Antiterrorgesetz. Während die einen einen Rückfall in die Gesetzlosigkeit der Volksrepublik fürchten, sorgen sich die anderen vor einer zweiten Invasion der einstigen Kolonialherren

Der Streit gibt einen Vorgeschmack, was Demokratie in China mal sein könnte

aus Peking GEORG BLUME

Vor einer Woche erlebte Hongkong die größte Demonstration seit seiner Rückgabe an China vor fünf Jahren. Zehntausende marschierten gegen das geplante Sicherheitsgesetz der chinesischen Sonderverwaltungszone. Gestern folgte ein weiterer Demonstrationszug: diesmal von denen, die das neue Sicherheitsgesetz unterstützen – und ganz allgemein auch die Pekinger Politik. Beide Demonstrationen verliefen friedlich, begleitet von für Hongkonger Verhältnisse außerordentlich hoch schlagenden Wellen der gegenseitigen Kritik. Ein katholischer Bischoff musste sich gar den Vorwurf gefallen lassen, ein „krankhafter Heiliger“ zu sein.

So aber entsteht für Außenstehende der Eindruck, als hätte die demokratische Öffentlichkeit in China – ausgenommen Taiwan – nie so gut funktioniert wie heute in Hongkong. Zumal es in der Auseinandersetzung um eine Art Antiterrorgesetz geht, wie es viele Regierungen im Westen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführt haben. Etwas, das sich auch inhaltlich im Rahmen demokratischer Verhältnisse zu bewegen scheint.

Der Eindruck ist aus Sicht aller Hongkonger Beteiligten falsch. So sehen die einen Hongkong unter die Gesetzlosigkeit der Volksrepublik fallen, während die anderen vor einer zweiten Invasion der Kolonisatoren zittern. Der Streit gibt einen Vorgeschmack darauf, was Demokratie in China einmal sein könnte.

Das Hongkonger Nachrichtenmagazin Far Eastern Economic Review titelte vergangene Woche über die „eigentliche Rückgabe“ an China, die jetzt beginne. Damit ist gemeint, dass Peking fünf Jahre nachdem alle auf Hongkong starrten, um den Einzug kommunistischer Diktatoren zu bestaunen, die Daumenschrauben ansetze. Indem es ein Sicherheitsgesetz durch den Hongkonger Legislativ-Rat drücke, das gut informierte Journalisten und Mitglieder einer von Peking verbotenen Organisation zu potenziellen Staatsfeinden erkläre. Tatsächlich ist die Rede davon, dass das neue Gesetz die Veröffentlichung nichtautorisierter Regierungsinformationen verbietet. Außerdem soll die Hongkonger Regierung bald Organisationen verbieten dürfen, wie es sich die Regierung in Peking schon lange anmaßt. Aber man weiß das alles nicht genau. Denn die Hongkonger Regierung hat sich ausbedungen, nur eine allgemeine Rohfassung des Gesetzestextes der Öffentlichkeit vorzulegen. Erst im Februar will man Tacheles reden, dann aber möglichst gleich das Gesetz verabschieden.

Das ist ein Grund mehr, warum die Gegner des Gesetzes Gefahr im Verzuge wittern. Sogar die Exverwaltungschefin Hongkongs, Anson Chan, kritisierte ihren alten Vorgesetzen, Gouverneur Tung Chee-Hwa: „Wir haben bisher nicht gesehen, wie das Gesetz schwarz auf weiß aussieht. Gerade bei so einem Gesetz aber steckt der Teufel im Detail.“

Chans Kritik folgten all die, die meinen, dass Hongkong in den 150 Jahren seiner Kolonialherrschaft besser regiert wurde als heute. So meldete die britische Handelskammer Sorgen an, gefolgt vom US-Konsul und der Vereinigung der ausländischen Banken in Hongkong. „Das Problem ist, dass der Begriff des Staatsgeheimnisses im neuen Gesetzestext vom chinesischen Recht geborgt ist“, schrieb die britische Handelskammer an die Hongkonger Regierung. „Wenn das Prinzip: ‚ein Land – zwei Systeme‘ aufrechterhalten werden soll, darf aber in Hongkong nicht die gleiche Definition von einem Staatsgeheimnis gelten wie in der übrigen Volksrepublik.“

Ausländischer Einmischung folgte patriotische Empörung: Die Kritiker würden „zur neuen Invasion einladen“, schimpften die Unterstützer Pekings im Legislativ-Rat. Hinter jedem neuen Gesetz witterten sie ein Komplott. Genau das ist der Streit: „Nach dem Buchstaben schützt das Gesetz unsere Sicherheit. In Wirklichkeit schützt es Pekings autokratische Herrschaft“, hatte der Chef der Hongkonger Opposition, Yeung Sam, proklamiert.

Pekings Rolle bleibt unklar. Offiziell versichert man, dass auf Hongkong kein Druck ausgeübt werde. Doch wer will in derartigen Sicherheitsdebatten überhaupt einer Regierung trauen? So erlebt Hongkong seine erste große demokratische Gesetzesdebatte. Nötig ist sie allemal. Jeder, der staatsfeindliche Wörter benutzt, muss nach dem gültigen englischen Gesetz mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen.

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