IV: Mal ordentlich teasen …

Mach dich frei, sei einfach du und so heiß, dass du dir die Klamotten vom Leibe tanzen willst. Wie? Na, das lernen Mutige in Mitte beim Striptease-Workshop

Erst der Pulli, dann das Unterhemd, die Hose, der BH, zuletzt der Slip. Zu unseren Füßen bildet sich ein Kleiderhaufen. Jetzt zueinander drehen. Augenbinde ab. Nackt stehen wir uns gegenüber. Vor 24 Stunden wussten wir nicht mehr voneinander, als auf den selbst geschriebenen Namensschildern stand. Mittlerweile kennen wir uns: Evi war einst Schönheitskönigin von Ungarn. Heute ist sie Kosmetikerin und liebt einen Berliner Transvestiten. Eva ist Lehrerin, kommt aus Frankfurt am Main und hat sich nach fast 25 Jahren Ehe von ihrem Mann getrennt. Eva-Marion ist Werbetexterin und seit zwei Monaten arbeitslos.  Drei Evas auf der Suche nach der eigenen Weiblichkeit. Kichern. Alexandra, eigentlich Sozialarbeiterin, ist gerade von München nach Berlin gezogen, jetzt macht sie den Bioladen. Sie ist bisexuell und geht hin und wieder als „Drag King“ durchs Nachtleben, als Frau in Männerklamotten. Ich selbst komme von der Zeitung, das wissen die anderen jetzt auch.

Wir wollen lernen uns auszuziehen. Erotisch. Mit Stil. Die Aufregung ist allemal größer als vor einem Date. Dagegen gibt’s eine pädagogische Vorstellungsrunde. Seelen-Strip statt nackter Haut – zur Beruhigung. Jede soll sagen, wieso sie hier ist.

Evi, die Ungarin, plant eine kleine Show. Die Geburtstagsüberraschung für ihren Transvestiten. „Er ist Showtänzer und kann sich ganz toll bewegen. Jetzt möchte ich ihm auch mal etwas vorführen“, sagt die ehemalige Beauty-Queen. Rote Haarmähne, grüne Augen. Eva, die getrennte Lehrerin, erklärt mit dünner Stimme, dass sie nach über 20 Jahren Sex im Ehedunkeln gerade dabei ist, Erfahrungen mit anderen Männern zu sammeln. Halt Sexualität neu entdecken.

„Ich will endlich mal was Neues ausprobieren“, verkündet auch Eva-Marion, die Texterin. Sie ist sehr experimentierfreudig, sagt sie, und wird sich jetzt mal fordern. Mit ihrem blassen Teint, den leicht schrägen Augen und den dunklen, streng hochgesteckten Haaren hat sie die Anmutung einer Geisha. Geheimnisvoll und erotisch. Ganz breitenwirksam will Alexandra ihre Sexualität und Erotik zur Schau stellen. Sie will damit auf die Bühne, sagt sie, und das nehmen wir ihr sofort ab. Mit sexuellen Rollenspielen hat sie ja offenbar Erfahrung. Der Auszieh-Workshop ist für sie der erste Schritt ins neue Leben.

Zunächst „Typanalyse“: Wir ordnen uns gegenseitig Farben und Eigenschaften zu. Ich bin kupfergold, humorvoll und ehrlich, sagen die anderen. Dann wühlen wir in einem Berg aus Strapsen, Negligees, Höschen und BHs, den unsere Kursleiterin mitgebracht hat. Jede sucht sich was Passendes heraus. Sie meint es ernst mit uns.

Wir üben. Rhythmisch Po und Busen hin und her. Breitbeinig? Kreisen! Oder doch besser wippen? In erster Linie kommt’s darauf an, „wir selbst“ zu sein. Einfachen Lösungen gibt’s dafür nicht. Das bringt uns zur Verzweiflung. Nur schön locker lassen. So geht’s. Die Kursleiterin Viola legt selbst ein paar Strips hin. Dabei schaut sie uns direkt in die Augen, lächelt uns an, neckisch und höllisch unverkrampft. Sie kann’s. Nervosität. Wir sind dran. Schließlich heißt das hier ja „Selbsterfahrungs-Workshop“.

Das Ausziehspiel mit der Augenbinde war nur zum Aufwärmen. „Jetzt haben wir uns alle schon mal nackt gesehen, da ist alles Weitere nur noch halb so wild“, versucht Viola uns zu motivieren. Jetzt Angst. Jede Einzelne bekommt ihren eigenen großen Auftritt. Musik, Outfit und Choreografie soll sich jede selbst überlegen. Keine will anfangen. Evi drängt Alexandra: „Du willst doch auf die Bühne! Du kannst das bestimmt sowieso am besten.“ Alle reden plötzlich auf Alexandra ein. Große Erleichterung, denn sie macht’s. Zu Musik von „Rosenstolz“: „Nimm mich, wenn du kannst“. Sie beginnt lasziv zu tanzen und sich langsam auszuziehen. Sehr langsam. Nach Federboa, Satinhandschuhen und Sonnenbrille ist das Lied zu Ende. Schlechtes Timing. Alexandra stört das überhaupt nicht. „Das war ein tolles Gefühl!“, freut sie sich. „Hat total Spaß gemacht!“ Beschwingt geht sie auf ihren Platz zurück. Eine Siegerin.

Das Gezeter beginnt von neuem. Keine will. Am Ende zieht nur Eva sich tatsächlich ganz aus – braucht aber auch zwei Lieder dafür. Zu langsamen Sexybeckenbewegungen lässt sie ein Kleidungsstück nach dem anderen fallen, bis nur noch der breite Ledergürtel übrig ist. Wir sind beeindruckt. „Ich bin unglaublich erleichtert!“, sagt die nur noch begurtete Lehrerin. „Man muss sich nur trauen.“

„Wir sind hier in einem geschützten Raum. Durch unseren nackten Körper können wir unsere nackte Seele zeigen“, flötet die Kursleiterin immer wieder. Doch Körper und Seele vor vier verkrampften und daher umso aufmerksameren Striptease-Novizinnen nackt zu machen, fällt keiner leicht. Evi, die gekrönte Schöne, traut sich gar nicht. Kein Rhythmusgefühl. Eva-Marion zieht sich immerhin bis zum Negligee aus. Und mein eigener Strip bis auf den Slip war auf jeden Fall eine Überwindung.

Schamlos die Schamgrenze überwinden! Darum geht es wohl. Erleichtert klauben wir unsere Kleider vom Boden zusammen. Evi und Eva-Marion vereinbaren noch ein paar Privatstunden.

BIANCA KOPSCH

Mutige gehen zu „Frauenkreise“, Mulackstr. 31/32 in Mitte, und zahlen 38 Euro für ein Wochenende unter Anleitung von Viola Voigt, Tel.: 2 80 61 85