: Für Hartz lernen
„Ich-AG“ und private Arbeitsvermittler sind für Schwerbehinderte alte Hüte. Unfreiwillig proben sie bereits das neue System – und das birgt neben Chancen auch Gefahren
Die effektive Vermittlung von Arbeitskräften durch private Personal Service Agenturen – die „Ich-AG“ als echte (Schein-)Selbstständigkeit –, dies verspricht uns die Umsetzung der Hartz-Vorschläge für die nahe Zukunft. Die Auslagerung von Aufgaben des Arbeitsamtes geht mit einer grundsätzlichen Umorientierung des Sozialsystems einher. Erste Erfahrungen mit der Praxis vergleichbarer Servicestellen konnte eine spezielle „Testgruppe“ schon einmal machen: Schwerbehinderte Arbeitssuchende sollen seit knapp zwei Jahren – als ein Ergebnis der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes – über eingerichtete Servicestellen, die Integrationsfachdienste, vermittelt werden, allerdings auf langfristige Arbeitsplätze.
Die Bundesanstalt für Arbeit wird – so will es Hartz – die soziale Aufgabe des Staates, Menschen zu Lohn und Arbeit zu verhelfen, wegen mangelnder Effizienz an wirtschaftliche Unternehmen abgeben. Der Arbeitslose wird damit zum Kunden. Das klingt gut, birgt aber Gefahren: Die privaten Vermittler trennen Klienten nämlich in gute (leicht vermittelbare) und schlechte (schwer vermittelbare) Risiken. Brauchen können sie natürlich nur Kunden mit „gutem“, also geringem Risiko. Darunter sind durchaus auch manche Arbeitsamtsproblemfälle wie etwa die Schwerbehinderten. Eigentlich fallen sie als besonders schwer vermittelbar unter den Bereich „Hochrisiko“. Doch durch das staatliche Angebot diverser Fördermöglichkeiten – beispielsweise die Eingliederungszuschüsse – haben sie sich de facto im Vergleich zu durchschnittlichen konjunkturell oder strukturell bedingten Arbeitslosen zum guten Risiko gemausert. Ergebnis: Sie sind ein Förderfall, schreiben sie sich vom Arbeitsamt ab – und bei den Integrationsfachdiensten ein. Diese sind aus öffentlichen Mitteln finanzierte, private Vermittler und leben von ihren Vermittlungsquoten.
Der Eingliederungszuschuss soll für die behinderten Arbeitnehmer Nachteile am ersten Arbeitsmarkt ausgleichen und ihnen zu einem dauerhaften Arbeitsplatz verhelfen. Arbeitgeber, die Mitarbeiter suchen, sollen motiviert werden, behinderte (selbstverständlich qualifizierte) Arbeitnehmer bevorzugt einzustellen. Für höchstens drei Jahre erhalten die Arbeitgeber einen sich jährlich verringernden Lohnkostenzuschuss, der bewirkt, dass der eingestellte Arbeitnehmer in der Anfangszeit weniger kostet als ein vergleichbarer anderer. Gleichzeitig soll eine eventuell notwendige längere Einarbeitungszeit damit ausgeglichen werden.
Es hat sich erwiesen, dass dieses Modell für gemeinnützige Projekte kritisch sein kann. Sie werden von den Integrationsdiensten als potenzielle Kunden umworben, um über die Förderung Arbeitnehmer mit Behinderungen einzustellen. Der Gedanke erscheint zunächst gut: Schwerbehinderten Menschen, die eine Arbeit suchen, werden in einem gesellschaftlich wichtigen Bereich „normale“ Arbeitsplätze angeboten, die auch normal bezahlt werden – und: Kleinstunternehmen, die gesellschaftlich relevante Arbeit leisten, kommen zu qualifizierten Arbeitskräften, die (zumindest vorübergehend) bezahlbar sind. Was schon bei einem „normalen“ wirtschaftlichen Betrieb mit einem Risiko behaftet ist, nämlich dem, dass der Unternehmer sich verrechnet hat und nach Auslauf der Förderung den Arbeitsplatz nicht halten kann, kann im Fall des nicht profitorientierten Unternehmens zum vorhersehbaren Ereignis werden.
Die Gefahr besteht, dass einige gemeinnützige Arbeitgeber, um eigene Risiken abzuwenden, die Ich-AG in gewissem Sinne für sich umsetzen, indem sie Mitarbeiter einstellen, sie aber wie freiberufliche, selbstständige Partner behandeln. Hinzu kommt, dass teilweise seitens der Integrationsfachdienste unzureichende Informationen darüber erfolgen, dass für wenigstens einen Teil der Investitionen Eigenmittel aufgebracht werden müssen. So kann es dazu kommen, dass noch verbleibende UnternehmerInnenrisiken – wie Investitionen in die Schaffung und Ausstattung des Arbeitsplatzes und allgemeine Verwaltungskosten, etwa Beiträge zur Unfallversicherung – auf die Arbeitnehmer abgeladen werden. In diesem Fall auf Arbeitnehmer, die am ersten Arbeitsmarkt benachteiligt sind und aus ihrer Situation als Behinderte heraus für sich die Entscheidung getroffen haben, eben nicht freiberuflich oder als selbstständige Unternehmer tätig zu werden.
Was die direkt dem Arbeitsplatz zurechenbaren, regelmäßig anfallenden Kosten angeht, müssen diese vom ersten Moment an direkt vom Arbeitnehmer finanziert werden, wenn die Arbeitgeber keine Eigenmittel zur Verfügung haben. Die Gehaltskosten bringt der Angestellte für begrenzte Zeit über Zuschüsse mit. Kosten für Miete, Energie und Kommunikation werden vom Unternehmen nicht getragen und laufen auf, bis zu dem Zeitpunkt X, an dem die Einnahmen der Kostenstelle die Ausgaben mindestens ausgleichen. Im Klartext: Ohne eine hundertprozentige Anschubfinanzierung für die Gehaltskosten über einige Monate könnten diese Unternehmen keine Arbeitnehmer einstellen – höchstens jemanden, der eine Kapitaleinlage mitbringt, sprich: Das Unternehmen braucht keine Angestellten, sondern einen Kompagnon – oder eben eine Ich-AG.
Die behinderten Arbeitnehmer befinden sich damit in einer Zwangslage. Zunächst einmal sind sie froh, als schwer Vermittelbare einen Arbeitsplatz gefunden zu haben. Sie machen täglich die Erfahrung, dass in einer schwierigen Arbeitsmarktsituation ihre persönlichen Chancen noch schlechter sind als die der „Nichtbehinderten“. Daher haben sie vielleicht Verständnis für Arbeitgeber, die für notwendige Tätigkeiten Arbeitskräfte einstellen möchten, sich diese und die dazugehörige Infrastruktur jedoch nicht leisten können. Ob behinderte Arbeitnehmer die zusätzlichen Risiken, die sie bei Unternehmen ohne wirtschaftliche Absicherung eingehen, zu tragen bereit sind, sollten sie sich im Einzelfall sehr genau überlegen.
Wie erfolgreich die Vermittlungen der Integrationsdienste bisher sind und wie dauerhaft die Vermittelten auf den Arbeitsplätzen tatsächlich verweilen, lässt sich nach der bisher kurzen Zeit noch nicht aussagekräftig darstellen. Praktiker aus dem Vermittlungsumfeld melden jedoch schon vereinzelt Zweifel an: Auch bei mittelständischen Arbeitgebern ohne karitativen Auftrag sieht es für einen dauerhaften Arbeitsplatz nach Auslauf der Förderungen nicht rosig aus.
Das Schwerbehindertengesetz sieht vor, dass die beteiligten Rehabilitationsträger im Jahr 2004 zum ersten Mal einen Bericht über ihre Erfahrungen mit den Servicestellen liefern. Darin soll festgehalten werden, wie gut sie ihre Aufgaben erfüllen. Danach soll, bei Bedarf, nachgebessert werden. SABINE KLECZEWSKI
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