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Böses Spiel des Lieben Führers

Nordkoreas Führer Kim Jong-il riskiert den Frieden auf der koreanischen Halbinsel: Mit Drohgebärden will er den USA Verhandlungen aufzwingen

aus Peking JUTTA LIETSCH

Die Sorge vor einer dramatischen Krise auf der koreanischen Halbinsel nimmt weiter zu: Nordkorea hat angekündigt, zwei Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) des Landes zu verweisen. Außerdem soll die Arbeit in einem 1994 geschlossenen Atomlabor wieder aufgenommen werden. Dort sollen künftig gebrauchte Plutoniumbrennstäbe aus dem umstrittenen Reaktor von Yongbyon gelagert werden, den die Regierung in den nächsten Monaten anfahren will. Nordkoreanische Techniker hätten gestern erneut tausend Brennstäbe nach Yongbyon gebracht – das berichteten gestern südkoreanische Medien, die sich auf die amtliche Nachrichtenagentur Nordkoreas, KCNA, beriefen. KCNA dient als offizielles Sprachrohr des abgeschotteten und unberechenbaren Regimes in Pjöngjang.

Der künftige Präsident Südkoreas, Roh Moo-hyun, rief angesichts der aktuellen Entwicklungen die Landsleute im Norden auf, „nicht mit dem Feuer“ zu spielen. „Was immer Nordkorea beabsichtigt: Es nützt nicht dem Frieden und der Stabilität der koreanischen Halbinsel in Nordostasien, und es ist auch nicht hilfreich für die eigene Sicherheit und den eigenen Wohlstand“, sagte Roh, der im kommenden Februar sein Amt antreten wird.

Gleichzeitig mit der angekündigten Ausweisung attackierte Pjöngjang die Vereinigten Staaten: Washington stürze sich „kopfüber in einen gefährlichen Zusammenstoß“, weil es den Zusammenbruch Nordkoreas anstrebe, anstatt über eine friedliche Lösung zu verhandeln. Damit reagierte das Land offenkundig auf die indirekte Drohung von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Amerika sei in der Lage, zur gleichen Zeit Krieg sowohl gegen den Irak als auch gegen Nordkorea führen zu können.

Vertrag ist Makulatur

Das Regime in Pjöngjang schiebt den Amerikanern die Schuld an der jetzigen Krise zu: Sie hätten, so heißt es, die im Vertrag von 1994 zugesagten Heizöllieferungen für Nordkorea eingestellt. Der Norden müsse deshalb seine Atomreaktoren wieder in Gang setzen, um das Land mit Energie versorgen zu können, behauptet Pjöngjang. Die USA wiederum begründen ihre Weigerung, die Nordkoreaner weiter mit Energie zu versorgen, mit dem heimlichen Atomwaffenprogramm Nordkoreas, das einen Verstoß gegen das Abkommen von 1994 darstelle.

Der Vertrag hatte seinerzeit die letzte große nukleare Krise auf der koreanischen Halbinsel beendet. In dem Vertrag hatte Nordkorea versprochen, die Yongbyon-Plutoniumanlage stillzulegen und sein Atomwaffenprogramm zu suspendieren – im Tausch gegen die Lieferung von Heizöl und den Bau von zwei neuen Leichtwasseranlagen durch ein internationales Konsortium. Nun scheint der Vertrag nur noch Makulatur.

Die chinesische Regierung, die in der Vergangenheit als engster Verbündeter Nordkoreas galt und die das Regime derzeit nach wie vor mit Lebensmitteln und Rohstoffen beliefert, hat sich bislang zu den jüngsten Äußerungen aus Pjöngjang nicht offiziell geäußert. Wie Moskau verlangt Peking von den Nordkoreanern, eine „atomwaffenfreie koreanische Halbinsel“ zu schaffen. Gleichzeitig verlangt Peking von den USA, den Dialog mit Pjöngjang nicht abreißen zu lassen.

Ob und wie der chinesische Große Bruder den Verbündeten Lieben Führer Kim Jong-il unter Druck setzen kann, seine Atompläne aufzugeben, liegt im Dunkeln. Ausländische Diplomaten rätseln derzeit darüber, wie viel Einfluss die Chinesen derzeit überhaupt noch auf die Nordkoreaner haben. Chinesische Berater äußerten sich in letzter Zeit verärgert über die Kooperationsbereitschaft der Nachbarn. Sie äußerten sich bestürzt über die Realitätsferne der Genossen jenseits des Yalu-Flusses.

Peking wartet ab

Beobachter glauben, dass Pjöngjang mit seinen atomaren Drohungen vor allem ein Ziel verfolgt: die USA an den Verhandlungstisch zu zwingen, um einen Friedensvertrag zu unterschreiben, der das offizielle Ende des Koreakrieges (1950–53) und der wirtschaftlichen Sanktionen bedeuten würde. Damit, so offenbar das Kalkül des bizarren Kim, könne er sein Überleben sichern.

Ob das riskante Spiel aufgeht, bleibt dahingestellt. Anders als noch 1994 unterstützt Peking das gefährliche Spiel der Nordkoreaner nicht mehr. Die Chinesen stehen Kim inzwischen nur noch mit Hilfslieferungen bei, um eine blutige Implosion des Nachbarlands zu verhindern. Ein Zusammenbruch der nordkoreanischen Diktatur würde die gesamte Region in große Unruhen stürzen, die China weder politisch noch wirtschaftlich vertragen kann. Zudem könnte dies Japan den Vorwand bieten, selbst weiter aufzurüsten – was Peking ebenfalls nicht will.

Obwohl Peking den irrationalen und teuren Nachbarn Kim gern los wäre, will es – anders als die US-Regierung des säbelrasselnden Präsidenten George W. Bush – den abrupten Sturz des Pjöngjanger Regimes vermeiden. Daher sehen chinesische Politiker die Versuche amerikanischer Politiker, Massenfluchtbewegungen aus Nordkorea zu unterstützen, mit großer Besorgnis.

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