Waffengesetz in Baden-Württemberg: An der Grenze des rechtlich Möglichen
Baden-Württemberg ringt um ein strengeres Polizeigesetz. Dabei zeigt sich, wie nah – oder fern – sich Grüne und CDU realpolitisch sind.
Nach dem Willen der grün-schwarzen Regierung soll die Polizei künftig verschlüsselte Chatprotokolle, Telefonate und E-Mails von Gefährdern via Telekommunikationsüberwachung, der sogenannten Quellen-TKÜ, ausspähen dürfen. Aufenthaltsverbote sollen mit der elektronischen Fußfessel überwacht und bei Terrorlagen auch Sprengmittel eingesetzt werden. Zudem soll künftig die sogenannte intelligente Videoüberwachung zulässig sein. Das heißt, die Polizei darf die Aufnahmen von Kriminalitätsbrennpunkten auf bestimmte Verhaltensmuster hin auswerten.
Für Schwarz-Grün ist das Terrorpaket ein Kraftakt, dem monatelange Verhandlungen des Innenministeriums mit InnenpolitikerInnen der Grünen vorausgingen. Härtere Verhandlungen habe er noch nie erlebt, sagt der grüne Fraktionsgeschäftsführer Hans-Ulrich Sckerl. Er wisse, dass die Grünen für ein solches Gesetz einen weiten Weg gehen mussten, hatte auch Innenminister Strobl verlauten lassen.
Zumindest in zwei Punkten war der Weg für Kretschmanns Partei dann tatsächlich zu weit. Nämlich bei der Onlinedurchsuchung, bei der ein Trojaner nicht nur die laufende Kommunikation überträgt, sondern auch weitere auf dem Computer abgelegte Daten ohne Wissen des Verdächtigen. Zudem sollen die Daten der Vorratsdatenspeicherung von der Landespolizei nicht für präventive Zwecke genutzt werden dürfen.
Das Innenministerium betont, man habe die Vorgaben aus Karlsruhe genau beachtet. Er sei „Verfassungsästhet“, versicherte Innenminister Strobl vor dem Landtag. Als Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gilt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten BKA-Gesetz.
„Gefahr für Leib und Leben“ könne auch eine Ohrfeige sein
Trotzdem stößt Strobls Antiterrorpaket im Landtag auf Widerstand, selbst aus den eigenen Reihen. Etwa vergangene Woche bei einer Expertenanhörung, bei der Juristen und Datenschutzexperten massive Kritik übten. Fraktionsmitglieder aus Regierung und Opposition sahen weiteren Klärungsbedarf. Nun kann das Gesetz nicht wie geplant am 8. November verabschiedet werden.
Man müsse „kein Verfassungsästhet sein“, um „erhebliche Einwände gegen den Gesetzentwurf der grün-schwarzen Regierung zu haben“, sagte da der Landesbeauftragte für Datenschutz, Stefan Brink, mit Blick auf den Innenminister in der Anhörung. Der schwerwiegendste Einwand der angehörten JuristInnen: Drastische Maßnahmen, etwa die Quellen-TKÜ und der Einsatz von Kriegswaffen, sollen der Polizei in Baden-Württemberg nach dem Gesetzestext nicht nur bei Terrorgefahr erlaubt werden, sondern auch bei „Gefahr für Leib und Leben“ und zum Schutz von „Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhalt im öffentlichen Interesse liegt“.
Derlei vage Formulierungen bezeichnen JuristInnen als unbestimmte Rechtsbegriffe, die den Praktikern im Einsatz möglichst viel Spielraum geben sollen. „Gefahr für Leib und Leben“, das könne auch eine Ohrfeige sein, sagt Nikolaos Gazeas, Experte für Terrorismus-Strafrecht. Er warnt davor, dass Maßnahmen, die tief in die Persönlichkeitsrechte der Bürger eingriffen, auf außergewöhnliche Gefahrenlagen beschränkt bleiben sollten und nicht auf Alltagskriminalität ausgeweitet werden dürften.
Dies gilt auch für den Einsatz von Explosivmitteln wie Granaten und Sprengstoffe durch Sondereinheiten der Polizei. Diese Waffen, die bisher nur die Bundeswehr führen darf, hatten sich die Polizeikräfte gewünscht, um bei Terror-Szenarien, wie etwa im belgischen Molenbeek, gerüstet zu sein. Diese Möglichkeit hat in Deutschland erstmals das bayerische Polizeigesetz geschaffen. Aber Baden-Württemberg geht weiter als die Bayern und erlaubt den Einsatz auch gegen Menschen. Zudem genügt für den Einsatz solcher massiven Waffen nach der Gesetzesvorlage die Anordnung eines leitenden Polizeibeamten. Gazeas empfiehlt den Befehl des Innenministers.
Mehr Personal statt bei Gesetzen draufsatteln
Ein weiterer Kritikpunkt: Die ExpertInnen bezweifeln, dass sich das Überwachen von Skype und Chats, für die der sogenannte Staatstrojaner in einen Computer eingeschleust werden muss, technisch sauber von der Onlinedurchsuchung trennen lässt, bei der auch alte Daten an die Behörden überspielt werden. Anders als die Überwachung laufender Kommunikation, soll die Onlinedurchsuchung abgelegter Daten nach dem Willen der Regierung in Baden-Württemberg nicht erlaubt sein. „Die Software soll nur können, was sie darf“, beteuert der Chef des baden-württembergischen Landeskriminalamts, Ralf Michelfelder.
Der Datenschutzbeauftragte des Landes, Stefan Brink, kritisiert die gesamte Richtung des Gesetzentwurfs. Personenbezogene Daten zu erheben, bedeute keineswegs mehr Sicherheit. Mit Blick auf den kürzlich veröffentlichten Bericht zu den Versäumnissen der Behörden im Fall Anis Amri äußert Brink Zweifel, ob mehr Daten wirklich mehr Sicherheit bringen. Alle notwendigen Informationen zu Amri hätten den Behörden vorgelegen. Sie hätten aber nicht gehandelt. Brink empfiehlt deshalb, nicht bei Gesetzen „immer weiter draufzusatteln“, sondern beim Ermittlungspersonal, um aus den „vorhandenen Erkenntnissen bessere Schlüsse zu ziehen“.
Eine Botschaft, die im Stuttgarter Innenministerium auf wenig Gegenliebe stößt. Dort denkt man bereits über weitere Gesetzesverschärfungen nach. Während die aktuelle Gesetzesreform noch längst nicht vom Parlament abgesegnet ist, wartet Strobls Haus auf die nächste Gelegenheit, nachträglich die von den Grünen ungeliebte Onlinedurchsuchung in das Gesetz zu bugsieren. Das könnte nächstes Jahr geschehen, wenn das Gesetz wegen der EU-Richtlinie zum Datenschutz bei Polizei und Justiz ohnehin noch einmal aufgeschnürt werden muss. Nur bei der Nutzung der Vorratsdatenspeicherung hat das CDU-geführte Innenministerium die Hoffnung aufgegeben. Das, heißt es, sei mit den Grünen nun wirklich nicht zu machen.
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