„Tagesspiegel“ diffamiert SPD-Politiker: Igitt, Männerärsche!
Der „Tagesspiegel“ spielt Sittenwächter und skandalisiert, dass ein SPD-Politiker bei Twitter schwulen Porno-Accounts folgt. Ab auf den Scheiterhaufen mit ihm.
Wie investigativ: Der Tagesspiegel hat sich das Twitterprofil des SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs mal ganz gründlich angeschaut. Wem folgt der schwule Politiker denn so? Redakteur Matthias Meisner findet inmitten der über 1.300 Accounts auch einige Dutzend Pornoprofile. Von denen werden „Fotos von nackten Männern, von hinten und von vorn, beim Sex, teils in Gruppenaufstellung“ verbreitet. „Anzüglich“ seien die Bilder und manchmal sehe man auch „erigierte Penisse“. Lauter so Schmuddelkram also. Pfui!
Sofort beschwört der Tagesspiegel einen Pornoskandal herauf und fragt den Politiker, was das eigentlich soll. Der gibt sich erst unwissend („Kann sein“), dann abwehrend („Ich finde das nicht wirklich aufregend“), dann nachgiebig: Nach der „Tagesspiegel-Recherche“ löscht er über 30 Accounts aus seiner Liste.
Schade. Johannes Kahrs hätte auch dazu stehen können. Hey, guckt her, ich bin Politiker und ich gucke Pornos. So what? Nachdem er jetzt die Sex-Accounts aus seiner Follower-Liste gelöscht hat, wirkt er wie ein naiver Twitter-Neuling, der nicht weiß, wem er so folgt und dass das auch noch öffentlich sichtbar ist.
Doch die eigentliche Verfehlung leistet sich der Tagesspiegel selbst. Wie verklemmt kann man eigentlich sein? Ja, Politiker haben eine eigene Sexualität, sie interessieren sich für Körper, schauen Pornos. Sie sind Menschen. Volksvertreter eben.
Verbrennt ihn!
Um dem Text nachträglich noch etwas politische Relevanz zu geben, erklärt Tagesspiegel-Onlinechef Markus Hesselmann bei Facebook, es gehe auch darum, „wie ein gewählter Volksvertreter mit den ihm aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehenden Infrastrukturen umgeht.“ Hört, hört, da guckt sich ein Abgeordneter womöglich mit dem Dienstrechner bei Twitter Pornobildchen an. Vielleicht verbraucht er auch Steuergeld, indem er sein Smartphone im Bundestag auflädt und dann Twitter nutzt. Verbrennt ihn.
Man fragt sich, ob es auch eine Story gewesen wäre, wenn Kahrs nicht schwul wäre und sich – wie es sich gehört – an Heteropornos erfreut hätte. Aus Meisners Text jedenfalls quillt der blanke Ekel angesichts von Männerärschen und Gruppensex.
Das ist nur nur prüde, der Text ist zudem schlicht diffamierend: „Die abgebildeten Personen sind fast alle Jahrzehnte jünger als Kahrs. Ob sie bereits volljährig sind, lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen“, schreibt Meisner. Alles Spekulation. Aber klar, schwuler Mann guckt sich Bilder von nackten jüngeren Männern an. Obacht, Pädoalarm!
Es sind Stereotype, die im Jahr 2014 eigentlich überwunden schienen. Doch Meisner ist in den 50er Jahren hängengeblieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr