Papst-Kenner über Junta-Verbindungen: „Bergoglio spielt ein doppeltes Spiel“

Der neue Papst hat in den 70ern Jesuiten bei der Junta angeschwärzt. Das sagt der Investigativjournalist Horacio Verbitsky.

Verbitsky: „Die Jesuitenuniversität in Buenos Aires vergab unter Bergoglio einen Ehrendoktortitel an Junta-Admiral Emilio Massera (2. v. l.)“. Bild: dpa

taz: Herr Verbitsky, warum bestehen eigentlich überhaupt Zweifel am Verhalten Jorge Bergoglios während der argentinischen Militärdiktatur?

Horacio Verbitsky: Er war der Obere der Compañía de Jesús in Argentinien, also der Jesuiten. Er war der letzten Perón-Regierung intensiv verbunden. Und er war Mitglied in einer Organisation namens Guardia de Hierro, einer Gruppierung innerhalb des Peronismus, die eine sehr mystische Entwicklung nahm, die Perón mit Jesus Christus gleichsetzte. Als der Militärputsch erfolgte, wurde diese Organisation von Admiral Massera kooptiert. Der benutzte die Organisation bei den Konflikten innerhalb der Militärjunta gegen General Videla. An diesem ganzen Prozess war Bergoglio beteiligt.

Wie denn?

Die Compañía de Jesús war in jenen Jahren so etwas wie die Avantgarde des sozialen Aktivismus und des „Tercermundismo“, also der Emanzipation der Dritten Welt, sehr aktiv in den Armenvierteln. Bergoglio setzte eine inhaltliche Neuorientierung durch: Er machte den sozialen Aktivitäten ein Ende und orientierte auf spirituelle Arbeit. Und er ließ jene Pater im Stich, die er noch selbst in die Armenviertel geschickt hatte.

Mit welchen Folgen?

Einige von diesen Pastoren wurden verschleppt, und sie beschuldigten später ihn, sie den Militärs ausgeliefert zu haben, insbesondere Orlando Yorio und Francisco Jálics. Beide waren verschleppt und fünf Monate in der Esma gefoltert worden. Yorio äußerte später sogar den Verdacht, dass bei einem Verhör, als er mit verbundenen Augen auf ein Bett gefesselt war, Bergoglio selbst anwesend war. Das hat er mir so gesagt.

Journalist, 1942 in Buenos Aires geboren,hat sich durch seine Recherchen zur Militärdiktatur einen Namen gemacht. Der Kolum- nist bei Página/12 ist auch Autor unzähliger Bücher, darunter „El Si- lencio – von Paul VI. zu Bergoglio: Die geheimen Beziehungen der Kirche zur Esma“ (2005).

Jorge Mario Bergoglio: Einstiger Leiter der Jesuiten in Argentinien. Der heute 76-Jährige wurde am Mittwoch in Rom zum neuen Papst Franziskus gewählt.

Orlando Yorio und Francisco Jálics: Zwei Jesuiten, die 1976 zur Zeit der argentinischen Diktatur fünf Monate lang gefoltert wurden. Yorio starb im Jahr 2000.

Emilio Massera: Admiral und führendes Mitglied der Militärjunta, die sich 1976 an die Macht putschte. Unter ihr verschwanden rund 30.000 Menschen.

Esma: Die Escuela de Mecánica de la Armada (Mechanikerschule der Marine) in Buenos Aires war die berüchtigte Folterstätte der Marine während der Diktatur.

Zurdos: Wörtlich: Linkshänder. Bezeichnung der Diktatur für „subversive Linke“.

Und was sagt Bergoglio dazu?

Bergoglio bestreitet das alles. Er sagt vielmehr, er habe für die Befreiung der beiden gesorgt.

Das sind zwei Versionen einer Geschichte.

Sie sind das Ergebnis eines doppelten Spiels Bergoglios, von dem Yorio und seine Mitstreiter berichten: Nach außen väterlicher Schutz, in Wirklichkeit Konspiration gegen sie. Zuerst wurde ihnen der Schutz der Jesuiten entzogen. Dann wurde ihnen angeboten, in eine andere Diözese in Buenos Aires zu gehen. Er, Bergoglio, wolle darüber mit dem Bischof sprechen. Dann stellte sich heraus, dass Bergoglio dem Bischof erzählt hatte, dass es sich bei den beiden um Subversive handele, denen man nicht helfen solle.

Haben Sie Bergoglio mit den Vorwürfen persönlich konfrontiert?

Ich habe eine Reihe von Interviews mit ihm geführt. Er bestritt die Vorwürfe, zeigte mir verschiedene Dokumente, die zum Beispiel zeigen sollten, dass die beiden nicht von ihm aus dem Armenviertel abgezogen wurden, sondern dass sie selbst um Versetzung gebeten hatten. Das ist die klassische jesuitische Vorgehensweise: Ich schmeiße dich raus, aber du musst selbst schriftlich um Versetzung bitten, und wenn du das tust, dann sorge ich dafür, dass du irgendwo gut unterkommst. Er hat mir also all das gesagt und gezeigt, und ich habe dann seine Version veröffentlicht.

Kann es sein, dass Yorio nach der Folter unter Verfolgungswahn litt?

Bergoglio ließ durchblicken, dass Yorio psychisch instabil sei. Ich habe viele Stunden mit Yorio gesprochen – er machte nicht den Anschein, ein Fall für den Psychiater zu sein.

Gibt es Belege für eine persönliche Nähe zwischen Bergolio und der Junta?

Die Jesuitenuniversität in Buenos Aires vergab unter Bergoglios Regentschaft einen Ehrendoktortitel an Emilio Massera. Der hielt zur Verleihung eine Dankesrede, die von Antimarxismus, Antifreudianismus und Antisemitismus geprägt war. Bergoglio gab grünes Licht für die Verleihung, nahm aber nicht daran teil. Deshalb findet auch niemand ein Foto von den beiden zusammen. Wenig später reiste Massera nach Washington und hielt einen Vortrag an der dortigen Jesuitenuniversität. Auch das wäre ohne die Empfehlung des Leiters der argentinischen Jesuiten nicht denkbar gewesen. Ein so umstrittener Diktator wird an keiner Jesuitenuniversität empfangen, ohne dass man sich vorher mit dem Chef der Jesuiten aus seinem Land abstimmt.

Was sagt denn Francisco Jálics, der mit Yorio zusammen entführt worden war?

Er lebt in Deutschland, und er möchte nicht darüber sprechen. Er sagt, er habe vieles vergessen und außerdem vergeben. Als ich allerdings die Geschichte damals veröffentlichte, sprach er schon mit mir, und er bestätigte auch die Daten, bat allerdings darum, nicht als Quelle zitiert zu werden.

Wie sicher sind Sie, dass Yorios Vorwürfe berechtigt sind?

Ich hatte Zweifel. Für mich war ein Dokument entscheidend, dass ich in den Archiven des Außenministeriums gefunden habe. Es war ein Brief, in dem Bergoglio 1979 das Ministerium gebeten hat, den Pass Francisco Jálics zu verlängern, ohne dass Jálics aus Deutschland nach Argentinien zurückkehren müsse.

Also hat er sich für ihn eingesetzt!

Ja, aber in der gleichen Akte finden sich die Notiz eines Beamten des Außenministeriums, auf der steht, das Jálics ein Subversiver sei, der ernste Konflikte mit der Kirchenhierarchie hatte und in der Esma eingesessen hatte. Und da steht, dass diese Informationen von Pater Jorge Bergoglio stammen, dem Leiter der Compañía de Jesús. Das hat für mich jede Diskussion beendet, denn es zeigt exakt, was Orlando Yorio immer sagte: ein doppeltes Spiel.

Mal abgesehen vom Fall Yorio/Jálics. Gibt es Belege für weiteres Fehlverhalten Bergoglios?

Es gibt viele weitere Zeugenaussagen, die belegen, wie Bergoglio als Leiter der Compañía de Jesús den gesamten progressiven Flügel der Jesuiten absägte. Es gibt in den Archiven des Außenministeriums auch ein gegen Ende der Diktatur verfasstes Dokument vom Geheimdienst, in dem es heißt, dass trotz der Bemühungen Bergoglios, die Kirche von „Zurdos“ zu säubern, eine neue Welle des Tercermundismo in der Compañía de Jesús am Entstehen sei.

Wie erklären Sie es sich, dass Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel jetzt sagte, Bergoglio habe keine Verbindungen zur Diktatur gehabt? Wörtlich sagte er: „Es gab Bischöfe, die Komplizen waren, Bergoglio aber nicht.“

Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er nicht alles gelesen, was ich publiziert habe.

Es gab in Argentinien auch Bischöfe, die sich während der Diktatur anders verhalten haben. Ist Bergoglio ein Einzelfall?

Viele Bischöfe haben die Militärregierung sehr offen unterstützt und in Reden und Erklärungen zum „Krieg Gottes“ ermutigt. Aber es gab einige wenige, die gegen die Diktatur kämpften, die Verfolgte beschützten und sich für die Menschenrechte einsetzten. Aber das war nicht mehr als ein halbes Dutzend.

Es gibt Medien in Europa, die Bergoglio als „Papst der Armen“ preisen und ihn, weil er aus Lateinamerika kommt, in die Nähe der Befreiungstheologie rücken.

Er ist ihr größter Feind. Unter seiner Regentschaft bei den Jesuiten wurden Dutzende Artikel veröffentlicht, die sich vehement gegen die Befreiungstheologie aussprachen. „Papst der Armen“ – das kann schon sein, denn er ist ein konservativer Populist. Er ist sehr bedacht darauf, dass alle Welt weiß, dass er U-Bahn und Bus fährt, dass er alte Schuhe trägt und gebrauchte Kleider, dass er den kirchlichen Pomp ablehnt. Er ist ein großer Schauspieler. Seine Predigten übt er vorher ein, um ihnen dramatische Effekte zu geben, er gestikuliert viel. Er ist ein hemmungsloser Populist, recht flexibel in Fragen der Doktrin, allerdings unerbittlich gegen die Befreiungstheologie. Er redet sehr viel von den Armen – ein Populist eben.

Und die Praxis?

In der Praxis stellt er sich an die Seite jener Mächtigen, die er rhetorisch angreift, und unterstützt sie zum Beispiel in ihrer Weigerung, Steuern zu bezahlen.

Was erwarten Sie von seinem Pontifikat?

Er wird einerseits sehr konservativ sein – immerhin organisierte er die Demonstrationen gegen die Homo-Ehe in Argentinien, bei denen er vom Kampf Gottes gegen den Teufel sprach. Und andererseits werden wir Dinge sehen wie eine Messe auf einem Bahnhof, Besuche in den Armenvierteln. Aber immer sehr orthodox-konservativ. Das ist ja auch absehbar: Der Mann ist Papst, nicht Revolutionsführer!

Hat er ein politisches Ziel?

Es ist denkbar, dass er sich vorstellt, für die linken Regierungen Lateinamerikas das zu sein, was Wojtyla für Polen war. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es im Vatikan eine Praxis, Päpste zu bestellen – manchmal finanziert vom US-Geheimdienst wie Pius XII. –, die eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Pius XII. sollte verhindern, dass in Italien die Kommunisten die Wahl gewinnen, Johannes Paul II. sollte den kommunistischen Ostblock penetrieren. Das ist alles bestens dokumentiert. Es scheint, als ob es jetzt um Südamerika geht.

Übersetzung: Bernd Pickert

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