Netzkonferenz „re:publica“, 2. Tag: Von Schweißen bis Antarktis
Die Klassifikation der LOLCat-Lover, bratwurstessende Politiker und das Ende der Arbeit: der zweite Tag der Internetkonferenz „re:publica“.
Am zweiten Tag der Internetkonferenz re:publica in Berlin lästerte Daimler-Chef Dieter Zetsche über das Google-Auto. Im Beisein der kubanischen Bloggerin Yoani Sánchez wurden die The-Bobs-Awards für Online-Aktivismus der Deutschen Welle verliehen. Und Telekom-Manager Jan Krancke stellte sich mehr oder weniger der Kritik, dass sein Konzern den Abbau der Netzneutralität vorantreibt.
Alles Ereignisse, die es nicht in diesen streng subjektiven Tagesüberblick geschafft haben. Denn wie schon für den Montag gilt, dass es 5.000 individuell verschiedene re:publicas gibt, das hier ist nur eine davon. Die Grundfrage bleibt aber die gleiche: Was konnte man auf der re:publica lernen?
1. Niemand sieht beim Bratwurstessen so wenig scheiße aus wie Gerhard Schröder. Und das ist wichtig als Politiker, denn dauernd muss man sich mit der Wurst fotografieren lassen – auf Volksfesten wird sie einem angeboten, ablehnen geht nicht, und überhaupt demonstriert sie wie kaum sonst etwas Volksnähe und Bodenständigkeit.
Nur leider sind die Dinger heiß, fettig und es ist unmöglich, sie würdevoll zu essen. Der Journalist Constantin Alexander hat deswegen eine „Anwendungsorientierte Analyse volkstümlicher Lebensmittel in der politischen Berichterstattung“ vorgestellt. Stoiber, Steinbrück, MacAllister – sie alle fallen durch beim Wurstverzehr. Ein weiterer Tipp von Alexander, der in einem Tumblr Wurstesserbilder sammelt: Haltung bewahren. Denn die Wurst muss zum Mund, nicht der Mund zur Wurst.
2. Ein Gigabyte Daten nimmt das Google Car jede Sekunde auf. Und rund 3,5 Millionen Menschen in den USA verdienen ihren Lebensunterhalt als Fahrer. Sie könnten bald durch Maschinen überflüssig gemacht werden, so wie auch zahllose Fabrikarbeiter.
arbeitet als freier Journalist, Lektor und Redakteur, unter anderem für die taz und zeit.de.
Doch auch vermeintlich sichere Berufe sind in Gefahr, die Mustererkennung im Big-Data-Bereich könnte Arbeitsbereiche von Anwälten und Diagnoseärzten betreffen. Und selbst an der Abschaffung von Sportjournalisten wird gearbeitet, die recht schematisch ablaufenden Spielereignisse könnten Computer bald selbst erkennen und dann mit den passenden Textbausteinen und Synonymen beschreiben – manch einer sagt allerdings, das wäre längst passiert.
Die Debatte, was das für Folgen hat, ist das Thema von Johannes Kleskes Vortrag Das Ende der Arbeit. Dabei gibt es zwei Lager: Neo-Ludditen wollen wie die Maschinenstürmer von einst dagegen ankämpfen, dass Maschinen uns erst die Arbeitsplätze wegnehmen und uns am Ende so kontrollieren. Die andere Seite sagt sich: Wir können uns der Zukunft nicht widersetzen, also sollten wir sie umarmen. Sie imaginiert ein digitales Athen: Eine Zeit, ähnlich der griechischen Antike, wo die Bürger ihren Alltag mit Politik, Kunst, Philosophie verbringen konnten, weil Sklaven ihnen die Arbeit abgenommen haben. Diese Sklaven sollen dann Maschinen sein.
Johannes Kleske fordert als Mittelweg den kritischen Geek. Manch einer wird es aber lieber mit Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke halten, der sagte: „The goal of the future is full unenployment, so we can play.“
3. Es gibt drei Sorten LOLCat-Fans: Die Meme Geeks, die Cheezfrenz und die Casual User. Das ist eine der Erkenntnisse von Kate Miltner, die ihre Masterarbeit tatsächlich das berühmteste aller Meme geschrieben hat: über LOLCats. Die Meme Geeks waren dabei die Vorreiter, sie sind jung, meistens männlich und machten LOLCats groß.
Doch dann kamen die Cheezfrenz, eher Frauen mittleren Alters, die sich über I can haz Cheeseburger? und andere Seiten austauschen und die LOLCats wesentlich weniger aggressiv interpretieren. Einige Meme Geeks wandten sich gelangweilt ab, andere kämpfen einen erbitterten Streit mit den Cheezfrenz aus, wobei es unter anderem darum geht, wer besser LOLspeak sprechen kann. Den Casual Usern ist das alles egal, sie schauen sich nur die Ergebnisse der LOLCat-Bilderproduzenten auf der Arbeit an und freuen sich darüber.
4. Auf dem Mond dauert ein Tag 29 Tage und es gibt 250 Grad Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht. Das ist wichtig, wenn man ein Gefährt bauen will, das auf dem Mond mindestens 500 Meter fährt, um den Google Lunar X-Prize von 30 Millionen Dollar zu gewinnen. Zwei Mitglieder vom deutschen Team //www.facebook.com/PartTimeScientists:Part-Time Scientists haben auf der re:publica ihr Projekt vorgestellt.
Ihr kleiner Roboter Asimov Jr. hat dabei auch eine integrierte Kamera für 3D-Aufnahmen. Projektintern wurde diskutiert, ob man eine Farbkamera brauche, wo doch auf dem Mond eh alles grau sei – am Ende entschied man sich für Farbe. Außerdem ist der Mond voll mit sehr feinem Staub, also muss Asimov Jr. sehr gut versiegelt sein. Denn dort oben gibt es keinen ADAC-Pannendienst, sagt Karsten Becker, der wie auch sein Ko-Referent Robert Böhme genau so aussieht und spricht, wie man sich in den USA deutsche Ingenieure vorstellt: Heftiger Akzent, helles Hemd, Jeans und ein Humor, der, siehe oben.
5. Binge Viewing nennt man es, eine US-Serienstaffel mehr oder weniger in einem Rutsch zu schauen. Wusstet ihr sicher alle, ich erfahre es erst abends im Hof beim Biobier. Und direkt danach, dass der Macher von True Blood ADD hat, was sich aber nicht einwandfrei begooglestätigen lässt. Und dann noch, dass Netflix eigene Serien produziert (also das wusstet ihr nun aber wirklich alle). Worüber man halt redet in den re:publica-Pausen: über TV-Serien. Wie überall sonst. Offen bleibt die Frage, wann es wohl mehr US-Netflix-Accounts gibt als US-Bewohner, VPN sei dank.
6. Von Schweißen zu Antarktis liegen in der Wikipedia höchstens sechs Klicks. Eisenzeit – Frühgeschichte – Nordamerika – Arktischer Ozean – Arktis. „Wir wollen nur kurz was bei Wikipedia nachschlagen und fünf Stunden später stellen wir fest, wir wissen jetzt alles über Quantenbotanik, aber nicht, wie wir da hin gekommen sind“, sagt Sebastian Vollnhals, einer der beiden Moderatoren von „Six Degrees of Wikipedia“, das aus der Not ein Spiel gemacht hat: Zwei Kandidaten müssen in möglichst wenigen Schritten und möglichst wenig Zeit von einem Begriff zum anderen kommen, dafür gibt es Punkte nach einem System, das man vielleicht verstanden hätte, wenn man von Anfang an dabei gewesen wäre.
So wird der Weg von Arthrose zu Einkommenssteuer (Deutschland) beschritten, von Big Time Rush zu Der Herr der Ringe schafft es einer in sechs Schritten und 70 Sekunden. Weil bei Eisen zu Schöne Bescherung auf der Bühne nichts passiert, probiere ich es am eigenen Computer und finde den Weg Eisen – Erdöl – Hannover – Weihnachtsmarkt – Advent – Weihnachten – Heiliger Abend – Bescherung – Schöne Bescherung. Während die Halbfinalisten den Weg von Johannes Heesters zu Mom I'd Like to Fuck suchen, gehe ich zurück in den Hof.
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