Kommentar Hambacher Forst und Klima: Die Zeit zum Handeln ist jetzt
Der Hambacher Forst ist mehr als ein Symbol und es geht nicht nur um ein paar Bäume. An ihm entscheidet sich die deutsche Klimapolitik.
A uf Klimakonferenzen hört man immer wieder: „Die Zeit zum Handeln ist jetzt!“ Leider passiert dann wenig. Auch die Bundesregierung hat sich für „Jetzt nicht“ entschieden und ihr Klimaziel für 2020 mit einem Schulterzucken entsorgt. Dabei geht es beim Abschied von Kohle, Öl und Gas nicht mehr um das Ob oder das Wie, sondern nur noch um das Wann. Ein guter Ort für das Wo ist der Hambacher Forst. Hier kann sich entscheiden, ob der Klimaschutz in Deutschland endlich Fahrt aufnimmt.
Sicherlich ist das umstrittene Gehölz nicht das ökologisch wertvollste Stück Deutschlands. Es könnte aber dazu werden. Die tatsächliche und symbolische Bedeutung des Kampfs um den Wald am Hambacher Loch ist hoch. Auch in Wackersdorf ging es nicht um den Taxöldener Forst, sondern um die Atomindustrie.
Mit dem „Hambi“ hat die Umweltbewegung endlich konkrete Symbole für eine unsichtbare und unfassbare Bedrohung gefunden. Kohlendioxid ist unsichtbar, die Täter sind wir alle und deshalb niemand. Aber die Buchen und Eichen kann man anfassen und schützen. Nicht umsonst hat das Waldsterben die deutsche Umweltbewegung groß gemacht.
Gleichzeitig ist der Wald mehr als ein Symbol. Bleibt er stehen, erleiden einige der größten Klimakiller in Europa, die Braunkohlekraftwerke im Rheinland, einen echten Rückschlag. Der Ausstieg, der schon aus wirtschaftlichen Gründen eher früher als später kommen wird, müsste dann plötzlich ernst genommen werden.
Den Unterschied zwischen legal und legitim kennen
Fällt allerdings der Wald, während in Berlin die „Kohlekommission“ tagt, könnte deren Suche nach einem Kompromiss scheitern. Gut möglich, dass RWE und die Regierung in NRW genau darauf spekulieren. Der Konzern hat das Recht auf seiner Seite, sollte aber den Unterschied zwischen legal und legitim kennen. Und wissen, dass sein Handeln einen Prozess bedroht, der wie beim Atom einen Großkonflikt in Deutschland entschärfen soll: mit viel Geld für die Konzerne und milliardenschweren Investitionen in den betroffenen Regionen.
Was könnte der Streit im Hambacher Forst verändern? Fortschritt geschieht, wenn sich neue Regeln durchsetzen. Solche neuen Regeln „von oben“ sind da: das Pariser Klimaabkommen, der „Klimaschutzplan 2050“, vielleicht bald ein Klimagesetz im Bund. Was bislang fehlt, ist der Wille, diese Vorschriften mit Leben zu füllen. Die Große Koalition meint bisher, es reiche aus, Klimaziele für die Zukunft zu beschließen und ansonsten weiterzumachen wie bisher.
Hambacher Protest
Mit dieser Logik bricht der Widerstand im Baumhaus. Zieht sich RWE aus dem Forst zurück, kann das ein Ende sein für das „Weiter so“: Dann würde die Regierung dazu gedrängt, nicht nur Öko-Energie aufzubauen, sondern Anti-Öko-Energie stillzulegen. Mit massenhaftem friedlichem Protest im Wald, in der Region, in der Landespolitik und in Berlin können jetzt alle handeln, die wegen ihres letzten Mallorcaflugs ein schlechtes Gewissen haben.
Dieser Widerstand muss gewaltfrei sein. Das gebietet der Respekt vor RWE-Mitarbeitern, ÖkoaktivistInnen, Anwohnern und Polizeibeamten, aber auch strategische Klugheit. Wer gewinnen will, muss die Menschen begeistern, nicht einschüchtern. Eine militante Eskalation würde Leib und Leben der Beteiligten ebenso gefährden wie das politische Anliegen. Die G20-Krawalle von Hamburg haben die unfaire Weltordnung eher bestätigt als infrage gestellt.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Wenn die Politik versagt, wie sie es in der Klimapolitik seit Langem tut, muss die Bevölkerung ran. Selten war die Gelegenheit für jede und jeden so günstig, konkret etwas für unser aller Zukunft zu tun. Ob im Wald, in der Region, im Bund, ob durch friedliche Blockaden vor Ort oder durch Auflösen von Denkblockaden in Düsseldorf, Essen und Berlin, ob durch Spenden oder Solidarität und lautstarken Protest vor und in Ministerien und Kommissionen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern