Die deutsch-türkische Fußballerin Aylin Yaren: „Traurig, nur als Artistin dabei zu sein“
Ballakrobatin Aylin Yaren kann mit dem Ball umgehen wie kaum eine andere. Dennoch wird Deutschlands beste Fußballartistin während der WM nur am Spielfeldrand im Einsatz sein.
taz: Frau Yaren, am 26. Juni beginnt die Frauenfußball-Weltmeisterschaft.
Aylin Yaren: Ich kanns kaum noch erwarten, echt.
Wird Deutschland Weltmeister?
Das Potenzial haben sie, junge Spielerinnen, die geil darauf sind, eine WM zu gewinnen, aber auch erfahrene Spielerinnen. Aber es wird natürlich nicht einfach, die können auch mal einen schlechten Tag erwischen.
Was versprechen Sie sich von der Weltmeisterschaft?
Dass der Frauenfußball einen Schritt vorankommt. Dass mehr Leute zu den Spielen kommen. Ich glaube, selbst wenn wir am Ende nicht Weltmeister werden, aber trotzdem guten Fußball gezeigt haben, wird es eine positive Entwicklung geben. Hoffe ich jedenfalls. Die ist ja auch nötig: Die Leute reden momentan über die WM, aber schon die Bundesliga interessiert keinen mehr. Wenn ich erzähle, dass ich in Bad Neuenahr zum Probetraining war, wird gesagt: Hey, wer ist Bad Neuenahr? Das ist schon traurig manchmal. Es wird einfach zu wenig berichtet.
Als die WM 2007 an Deutschland vergeben wurde, waren Sie gerade 18 Jahre alt. Haben Sie damals gedacht: Ja, da spiele ich mit.
Da habe ich ja schon lange nicht mehr für die Deutsche Nationalmannschaft gespielt. Das hat ja wegen einer dummen Geschichte schon aufgehört, als ich 15 war. Heute bereue ich das natürlich. Aber ich war damals eben noch jung und konnte mich nicht entscheiden.
Was für eine dumme Geschichte meinen Sie?
Ich hatte bereits zwei Mal für die deutsche U17 gespielt und dabei auch gleich mein erstes Länderspieltor erzielt. Das war ganz schön geil. Dann aber hat mir die türkische Nationalmannschaft einen Brief geschrieben: Wir wollen, dass du für uns spielst. Also bin ich auf deren Einladung in die Türkei geflogen, habe dort Lehrgänge und Freundschaftsspiele mitgemacht.
Und dem DFB haben Sie davon nichts erzählt?
Nein, ich dachte, das ist eine ganz normale Sache. Doch dann hat der DFB herausbekommen, dass ich auch für die Türkei spiele, und verlangt, dass ich mich entscheide. Ich konnte mich nicht entscheiden und hab auf die Anrufe des DFB nicht reagiert. So haben die mich von ihrer Liste gestrichen.
Und Sie haben weiter für die Türkei gespielt?
Ja, bis zum Winter 2009. Da habe ich das beendet. Nicht offiziell, aber ich hab für mich gesagt, ich trete jetzt erst einmal nicht für die Türkei an, weil ich mir die Möglichkeit, für Deutschland zu spielen, noch offenhalten wollte. Wenn ich ein WM- oder ein EM-Qualifikationsspiel für die Türkei gemacht hätte, wäre ich gebunden gewesen.
Und der DFB?
Ich habe von denen bis heute nichts mehr gehört. Dabei habe ich seitdem schon viele vom DFB getroffen. Ich war jung, man hätte nicht so hart reagieren müssen.
Machen Sie sich trotzdem Hoffnungen, einmal in der deutschen Frauennationalmannschaft zu spielen?
Ja. Natürlich bin ich jetzt etwas traurig, nicht als Spielerin, sondern nur als Ballartistin bei der WM dabei zu sein. Ich bin deshalb aber nicht am Boden zerstört. Ich trage ja auch einen Teil zur Frauen-WM bei. Es ist nun mal so gekommen und ich kann daran auch nichts ändern. Aber wenn ich in der ersten Liga spiele, dann will ich mich zeigen und beweisen. Ich bin ja keine schlechte Spielerin, ich kann jederzeit erste Liga spielen.
Aktuell hatten Sie aber keine Angebote aus dem Oberhaus?
Nein. Also versuche ich halt, mit Lübars aufzusteigen. Deshalb hänge ich hier noch ein Jahr ran und dafür will ich alles geben. Aber wenn das nicht klappt, dann versuche ich auf jeden Fall, anderswo erste Liga zu spielen. Ich will mir nicht nur als Freestylerin einen Namen machen, ich will zeigen, dass ich auch auf dem Feld was kann.
Auf dem Feld haben Sie, wenn es hochkommt, 80 oder 90 Ballkontakte im Spiel. Die haben sie beim Tricksen …
… locker in einer Minute. Stimmt. Aber wenn ich den Ball habe, dann zeige ich auch auf dem Feld meine Stärken, also wie dribbelstark ich bin.
Hatten Sie schon Ärger mit Trainern, weil Sie zu ballverliebt waren?
Ach Quatsch. Zugegeben, bevor ich nach Schweden ging, da war ich extrem ballverliebt, da habe ich kaum abgespielt, da war ich aber auch noch zu jung und unerfahren. Aber in Schweden habe ich gelernt, schnell abzuspielen, um das Spiel schnell zu machen. Das ist ja auch der Fußball, den Barcelona spielt und mit dem die Real Madrid und ManU auseinandergenommen haben. Das mag ich auch, aber das ist im Frauenfußball halt noch nicht so entwickelt.
Und wie siehts aus mit Taktik?
Ja, das ist schon langweilig. Wenn man sich anhören muss, dass man immer über außen spielen soll. Wenn ich den Ball auf dem Spielfeld habe, dann hab ich alles um mich herum vergessen. (lacht) Früher habe ich schon gedacht: Was ist Taktik? Ich spiele doch einfach Fußball.
Nützen Ihnen die Fähigkeiten als Freestylerin denn etwas auf dem Feld?
Ich kann keinen von den Tricks anwenden. Du kannst ja nicht mit dem Ball im Nacken übers Spielfeld laufen oder den Ball unterm Shirt verstecken. Aber ich habe durch den Trickfußball an Ballbeherrschung und Ballsicherheit gewonnen. Das Tricksen verbessert auf jeden Fall das Ballgefühl.
Was genießen Sie mehr: den Jubel im Team oder den Applaus nach einem Auftritt als Freestylerin?
Beides. Wenn wir wichtige Spiele in letzter Minute gewonnen haben, dann freut man sich riesig mit der ganzen Mannschaft. Aber natürlich bin ich auch übertrieben glücklich, wenn ich eine gute Show gebracht habe und die Leute mich feiern. Einmal ist es ein gemeinsames Erlebnis, das andere hat man für sich.
Werden Sie vielleicht von den Vereinsfußballern nicht ernst genommen, weil die Sie vor allem als Trickfußballerin sehen?
Ich weiß nicht, ob ich vielleicht deswegen einen schlechten Ruf habe. Bevor ich zu Lübars gegangen bin, hatte ich auch Gespräche mit Erstligisten. Da habe ich meine vielen Auftritte vor der WM erwähnt und gesagt, dass ich zuweilen zwei Mal die Woche beim Training fehlen könnte. Das wollten die dann nicht.
Die Ballartistik und der Vereinsfußball stehen sich also im Weg?
Natürlich bin ich manchmal sehr am Ende, aber irgendwann, wenn du einen Trick gelernt hast, motiviert dich das so sehr, dass du nicht mehr aufhören kannst. Aber wenn du so viel im Sitzen übst, geht das irgendwann ja auch in die Leiste. Das hat mich angekotzt. Im Training wurde ich gefragt: Bist du verletzt? Dann kannst du dem Trainer auch nicht sagen, ich habe versucht zu tricksen. Ich habe aber auch in dieser Saison, obwohl ich viel unterwegs war, meine Leistungen gezeigt. Ich habe acht Tore erzielt und eine Menge vorbereitet. Und nach der WM, wenn die Auftritte weniger werden, werde ich mich wieder mehr auf den Vereinsfußball konzentrieren.
Als Ballartistin haben Sie es aber auch zu Bekanntheit gebracht. Auf Facebook haben Sie mehr Anhänger als Weltmeisterin Birgit Prinz.
Wirklich? Ich hatte auf Facebook über 3.000 Freundschaftseinladungen, die ich selbstverständlich auch angenommen habe. Es ist ja wichtig, mit seinen Fans zu kommunizieren. Irgendwann habe ich die Seite dann aber gelöscht. Ich hatte keinen Überblick mehr. Ich wusste nicht, wo meine normalen Freunde waren unter den ganzen Statusmeldungen. Die können jetzt auf meine Fanclubseite.
Gibt es Meisterschaften für Freestylerinnen?
Nein. Nur für Männer, aber da kannst du als Frau auch mitmachen. Ich bin mir aber sicher, dass bald auch Frauenwettbewerbe eingeführt werden. Ich habe eine Freestylerin aus Frankreich kennen gelernt, Melody, und es gibt noch eine in Ungarn und eine in Holland. Immer nur eine. (lacht) Es sind vielleicht fünf, sechs Mädels europaweit.
Wo trainieren Sie?
Im Sommer im Park, im Winter im Zimmer. Da habe ich alles zur Seite geräumt und ganz viele Bälle, von klein bis groß. Wenn ich erst mal anfange, mit einem Ball zu spielen, kann ich nicht mehr aufhören. Manchmal dauert das drei, vier Stunden, bis mein Körper sagt, es geht nicht mehr. Ich fange auch mal um Mitternacht an, aber auf dem Laminat hört man ja jeden Schritt, und dann erwischt mich meine Mama um drei Uhr morgens: Aylin, ich will schlafen, kannst du bitte aufhören?
Ging auch mal was zu Bruch?
Früher ja. Im Wohnzimmer, wenn die Mama von der Arbeit kam, da fehlte schon mal eine Vase. Meine Mutter hatte einmal einen Engel links und rechts vom Fernsehschrank. Der linke war kaputt, irgendwann hat sie dann den rechten nach links gestellt, der war dann kurz darauf auch kaputt.
Wie finden Ihre Eltern diese Fußball-Leidenschaft?
Die finden das klasse. Nicht jede kann so etwas. Sie sind stolz – auch auf das, was ich auf dem Fußballfeld kann.
Sie hatten nie Probleme wie Nationalspielerin Fatmire Bajramaj, die ihren Vater hintergehen musste, um Fußball zu spielen?
Nein, bei mir war das nicht versteckt. Mein großer Bruder musste auf mich aufpassen, der hat selber viel gespielt und ich bin schon als kleines Kind immer hinter dem Ball hergerannt. Mein Vater war sofort dafür. Er hat mich gleich beim Verein um die Ecke, beim BFC Meteor 06 Berlin, angemeldet. Meine Mama wollte lieber, dass ich etwas anderes mache. Sie hat mich noch bei einem Tennisverein angemeldet, aber ich habe mich jedes Mal versteckt vor dem Training und geweint. Das war nicht mein Ding. Sie hat mich dann Fußball spielen lassen, weil sie glaubte, dass ich eh die Lust verliere. Aber ich bin auf dem Bolzplatz aufgewachsen, da war ich das einzige Mädchen.
Wurden Sie religiös erzogen?
Nein. Meine Eltern sind auch in Deutschland aufgewachsen. Ich bin auch froh darüber. Wenn ich jetzt ein Kopftuch tragen müsste bei dem Wetter, ich weiß nicht, was ich dann machen würde. Und dann auch noch den Ball hochhalten mit dem Kopftuch, das würde ja nicht so gut aussehen.
Haben Ihre Eltern auch nie gesagt: Lern doch erst mal was Vernünftiges?
Schule war schon wichtig, aber ich habe keine Ausbildung, nur einen Realschulabschluss. Ich war halt total auf Fußball fixiert. Meine Eltern haben sich aber nie Sorgen um mich gemacht. Jetzt bin ich selbständig, mache meine Auftritte und lebe davon.
Es gab niemals Ärger für das türkische Mädchen, das Fußball spielt?
Es gab sicher Leute, die gesagt haben: Was macht die Türkin denn im Fußball? Aber ich habe immer nur Komplimente bekommen. Heute nehmen sich viele kleine Mädchen mich zum Vorbild. Die schauen zu mir auf und wollen das auch schaffen. Die kontaktieren mich über Facebook: Ich will so werden wie du. Und die Jungs sagen: Ich wünschte, ich hätte so eine Technik wie du. Und sogar die Eltern sind stolz, dass es eine Türkin geschafft hat.
Sie sind eine Pionierin?
Ja, das kann man schon sagen. Ich habe beide Pässe, ich bin Deutsch-Türkin. Fußballerisch gibt es nicht viele Türkinnen, die so eine Ballbeherrschung haben. Deshalb bin ich schon stolz, wenn ich unterwegs bin und sagen kann: Ich bin Türkin.
Und in der Türkei sind Sie die Deutsche?
Ja, weil mein Türkisch nicht so perfekt ist. Bei den Jugendländerspielen waren wir sechs, sieben Deutsch-Türkinnen und wir haben uns nur auf Deutsch unterhalten. Das hat den anderen natürlich nicht gepasst, die haben uns immer als „die Deutschen“ abgestempelt. Du bist nirgendwo willkommen. (lacht)
Sie lachen, aber fühlen Sie das so – nirgendwo akzeptiert zu werden?
Ja, es gibt immer noch Probleme zwischen Deutschen und Türken. Es macht einen schon traurig. Aber ich persönlich komme ja viel rum durch meine Auftritte und ich werde nirgendwo als Ausländerin abgestempelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?