Linken-Politikerin zu Ellwangen: „Die Politik hat versagt“
Die migrationspolitische Sprecherin der Linken Gökay Akbulut verteidigt die Reaktion der Geflüchteten in Ellwagen. Sie würden kriminalisiert.
![Mann mit Handschellen umringt von Polizisten Mann mit Handschellen umringt von Polizisten](https://taz.de/picture/2703095/14/20562263.jpeg)
taz: Frau Akbulut, nach den Ereignissen in Ellwangen wird vor allem in konservativen und rechten Kreisen der Ruf nach konsequenteren Abschiebungen und einem starken Staat lauter. Von der Linken hört man wenig. Sind Sie selbst auch erschüttert über die Eskalation der Ereignisse?
Gökay Akbulut: Auch von uns wird es eine Presseerklärung geben. Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie dieser Vorfall skandalisiert wird. Gewalt gegen Polizisten ist nicht in Ordnung, das ist klar. Aber hier werden Flüchtlinge, die sich in erster Linie solidarisch zeigen wollten, kriminalisiert.
Die Polizei hat legal gehandelt als sie den Togolesen festnehmen wollte. Dürfen sich Geflüchtete über geltendes Recht stellen?
Ich glaube nicht, dass diese Menschen generell ein Problem mit dem Rechtsstaat haben. Sie haben sich aus ihrer konkreten Lage heraus gegen eine Abschiebung gewehrt, deshalb werden sie kriminalisiert und man spricht von rechtsfreien Räumen.
Aber so war es doch, oder? Die Polizei ist zunächst mit dem Versuch gescheitert, den Mann aus Togo mitzunehmen.
Gescheitert ist vor allem das Dublin-System, wonach Geflüchtete in das EU-Land, in das sie zuerst eingereist sind, zurück geschoben werden können. Das haben uns neulich erst die Experten in der Anhörung des Innenausschusses zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erläutert und das hat nun auch die Praxis gezeigt. Die Geflüchteten und die Polizei müssen dieses Versagen der Politik ausbaden.
Halten Sie die Reaktion der Geflüchteten also für legitim?
Jede Form von Solidarität, die gewaltfrei verläuft, ist legitim. Was in Ellwangen passiert, ist doch auch in anderen Städten längst der Fall: da werden Telefonketten und Bündnisse organisiert, die vor Abschiebungen warnen. Dass die Lage so eskaliert ist und Menschen verletzt wurden, bedaure ich. Aber wie gesagt, es handelt sich vor allem um ein Versagen der Politik.
Jahrgang 1982, ist Sprecherin für Integrations- und Migrationspolitik der Fraktion die Linke im Bundestag. Sie ist in der Türkei geboren und in Deutschland aufgewachsen und ehrenamtliche Gemeinderätin für die Linke in Mannheim.
Sie kommen selbst aus Baden-Württemberg, was würden Sie sagen: ist dieser Fall exemplarisch oder handelt es sich um einen Einzelfall?
Nach Bayern ist Baden-Württemberg das Land, das die meisten Menschen abschiebt. Sogar nach Afghanistan und geplant ist sogar nach Syrien. Aber in dieser Härte sind uns Abschiebungen bisher nicht bekannt. Das ist bisher ein Einzelfall. Mit der Skandalisierung solcher Fälle wird die AfD bedient.
Als Konsequenz aus den Vorfällen wird nun vor allem der Ruf nach konsequenteren Abschiebungen und einem härteren Eingreifen der Polizei laut. Was setzen Sie als Linke dagegen?
Als Linke bin ich generell gegen Abschiebungen. Es ist inhuman, Familien um drei Uhr nachts aus der Wohnung zu treiben, Menschen werden in die Illegalität getrieben, wenn sie versuchen, vorher unterzutauchen. Wer in ein andere EU-Land abgeschoben wurde, versucht erneut wieder einzureisen. Es ist ein Teufelskreis.
Was ist die Alternative – alle die abgelehnt wurden, dürfen dennoch bleiben?
Genau. Wir als Linke sind für ein Bleiberecht für alle.
Der neue Innenminister Horst Seehofer möchte hingegen Ankerzentren einrichten, wo Menschen ohne Bleibeperspektive zusammengefasst und leichter abgeschoben werden können. Was können Sie tun, außer dagegen zu protestieren?
Was Seehofer im Innenausschuss vorgetragen hat, ist fatal. In den Ankerzentren werden Menschen eingesperrt und sind völlig von der Umwelt isoliert. Dass auch Kinder und Jugendliche dort untergebracht sind, halten wir für rechtlich problematisch. Es verstößt gegen die Kinderrechtskonvention, die auch Deutschland unterzeichnet hat. Wir werden gegen die Zentren klagen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Münchner Sicherheitskonferenz
Selenskyjs letzter Strohhalm