piwik no script img

Weltweiter Tag gegen Gewalt an FrauenKeine Märchenhochzeit

Jährlich werden 14 Millionen Mädchen minderjährig verheiratet – manche auch in Deutschland. Terre des Femmes will dem ein Ende setzen.

Kinderehe: Was hier nur inszeniert ist, ist für 39.000 Mädchen weltweit jeden Tag Realität. Foto: Terre des Femmes

BERLIN taz | Ließe man sich vom ersten Eindruck trügen, so wähnte man sich auf einer Traumhochzeit. Zwei schwarze Pferde ziehen eine mit glitzernden Sternen behangene Kutsche vor das Brandenburger Tor. Der strahlende Bräutigam begrüßt die Hochzeitsgesellschaft, er redet von Liebe und Verantwortung. Dann platzt die glitzernde Seifenblase. Die Braut an seiner Seite lüftet ihren Schleier. Sie ist ein Mädchen, ein Kind, gerade mal zehn Jahre alt. Ihr Hochzeitstag ist der 25. November; der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen.

„Für 39.000 Mädchen weltweit ist eine solche Hochzeit täglich traurige Realität“, sagt Christa Stolle, Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes. Die Frauenrechtsorganisation hat die Hochzeit am Brandenburger Tor inszeniert, um auf die weltweite Problematik von Kinderehen aufmerksam zu machen.

„Laut UN-Bevölkerungsfond werden über 14 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, viele sind noch nicht mal 15 Jahre alt“, sagt Stolle. In den allermeisten Fällen bedeute eine solche Heirat für die jungen Frauen das Ende ihrer Bildungschancen und somit die ökonomische Abhängigkeit vom Ehemann sowie die Gefahr sexualisierter Gewalt und früher Mutterschaft – diese sei weltweit bei 15- bis 19-Jährigen die „Todesursache Nummer eins“, erklärt Stolle.

Einer Studie von Unicef zufolge gibt es weltweit 876 Millionen erwachsene verheiratete Menschen, die vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet wurden. 720 Millionen davon sind Frauen. Fast die Hälfte der Betroffenen lebt in Südasien, allein Indien macht 33 Prozent der Fälle aus. Auch in afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten sind die Zahlen hoch. Die Ursache ist fast immer eine Konstellation aus Armut, Tradition, patriarchalen Strukturen und mangelnder Bildung. Doch auch in Europa werden Minderjährige zur Heirat gezwungen, wenn auch in deutlich geringerem Maße.

Auch „eheähnliche Verbindungen“

„Auch in Deutschland ist es möglich, bereits mit 16 Jahren zu heiraten, vorausgesetzt, der künftige Ehegatte ist volljährig und das Familiengericht erteilt eine Befreiung vom Volljährigkeitserfordernis“, heißt es von Terre des Femmes. Die Organisation fordert, das Mindestalter für eine Eheschließung ohne Ausnahme auf 18 Jahre anzuheben – ein Appell, der international auch von Unicef oder Human Rights Watch geteilt wird. In Europa trifft das bisher einzig auf Schweden und die Schweiz zu.

In Deutschland sei ein Drittel der knapp 3.500 Betroffenen, die sich im Jahr 2008 wegen angedrohter oder vollzogener Zwangsheirat an Beratungsstellen gewandt hätten, minderjährig gewesen, so Terre des Femmes. In etwa der Hälfte der Fälle sei es nicht um eine standesamtliche, sondern um eine traditionalistische oder religiöse Zeremonie gegangen. Deswegen müsse der Straftatbestand der Zwangsheirat (§ 237 StGB) neben der „Ehe“ auch „eheähnliche Verbindungen“ erfassen.

Für 39.000 Mädchen weltweit ist eine solche Hochzeit täglich traurige Realität

Christa Stolle, Terre des Femmes

Zudem müsse Deutschland mehr Mittel für Prävention und Aufklärung bereitstellen und auch international Maßnahmen zur Abschaffung von Frühehen vorantreibt – unter anderem durch Bildungsprogramme, um Mädchen Wege in ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Mord an den Mirabal-Schwestern

„Das sind Vorschläge, die wir innerhalb der Koalition diskutieren müssen“, sagt Elke Ferner (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium. Auch sie war zur „Hochzeitszeremonie“ geladen. Ob Gesetzesänderungen der richtige Weg seien, kann die Bundestagsabgeordnete aber nicht sagen. So helfe es nicht, bestimmte Formen der Eheschließung in Deutschland zu verbieten, diese aber anzuerkennen, wenn sie im Ausland geschlossen wurden. „Da muss man Vieles noch bis zum Ende denken.

Hintergrund des jährlichen Internationalen Tags gegen an Frauen ist die Ermordung der drei Schwestern Mirabal. Die Regimegegnerinnen wurden am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik unter dem damaligen Diktator Rafael Trujillo vom militärischen Geheimdienst entführt und getötet.

Erstmals begangen wurde der Tag im Jahr 1981 von karibischen und lateinamerikanischen Feministinnen. 1999 wurde er von den Vereinten Nationen als offizieller Gedenktag anerkannt. Terre des Femmes organisiert seit 1981 jedes Jahr Veranstaltungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Zahlen von 2008 sind ja wahrscheinlich etwas veraltet.

    Aber wenn sich tatsächlich jährlich 3500 Minderjährige an Beratungsstellen wenden wegen angedrohter/vollzogener Zwangsheirat, dann dürften die realen Zahlen wesentlich höher sein, da viele sich gar nicht trauen außerhalb der Familie um Hilfe zu bitten.

     

    Wir sollten solche Mädchen vor ihren Familien schützen und ihnen die Möglichkeit bieten sich abzusetzen, eine Ausbildung zu machen etc.

    Den integrationsunwilligen Teil der Familie würde ich vor die Wahl stellen: entweder sich unseren kulturellen Standards anzupassen oder unser Land zu verlassen. Sie können Platz machen für Menschen, die unsere Standards zu schätzen wissen und sich ganz bewusst für ein Leben mit individuellen Freiheiten entschieden haben.

     

    Es gibt schließlich genug Länder, wo man mit mittelalterlichen Bräuchen nicht aneckt.

    • @nasowas:

      Ach, und in der Türkei ist es dann ok, wenn der "integrationsunwillige Teil der Familie" Kinder verheiratet? Mitleid gibts nur für Mädchen, denen das in Deutschland passiert? Ist dann ja nicht mehr "unser" Problem?