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Kritik an VS-Chef Hans-Georg Maaßen„Vermessen“ und „beschämend“

Maaßens Einschätzung zur Rolle des VS beim NSU finden Kritiker verharmlosend. Auch die Idee, V-Leute nach Syrien zu schicken, sei „gruselig“.

Der Verfassungsschutz hat genau im Blick, wie gewalttätiger Extremismus entsteht. Bild: dpa

BERLIN taz | Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat mit seinen Äußerung, sein Amt trage keine Verantwortung für den NSU-Skandal, massive Kritik ausgelöst. „Herr Maaßen versucht auf durchsichtige und beschämende Art und Weise die Wahrheit zu verdrehen,“ sagte Petra Pau, die für die Linksfraktion Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss war, der taz.

„Die Analyse der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zur rechtsterroristischen Gefahr war falsch und grob verharmlosend. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz kommt hier eine besondere Verantwortung zu. Es hat unbestreitbar versagt“ – so stehe es wörtlich im gemeinsamen Abschlussbericht des Ausschusses, so Pau weiter. „Mit dieser Haltung muss man Schlimmstes befürchten: Das ist kein Lernen aus Fehlern, keine Verantwortungsübernahme, sondern ein Weiter-so auf noch gefährlicherem Niveau.“

Maaßen hatte im Interview mit der taz jede Verantwortung seines Amtes für den NSU-Skandal zurückgewiesen. „Damals sind schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzurechnen“, sagte Maaßen. Zudem bestritt er, dass das Bundesamt V-Leute im NSU-Umfeld gehabt habe.

„Eine Unverschämtheit“ nennt der Grüne Christian Ströbele, der auch im NSU-Untersuchungsausschuss saß, Maaßens Ausführungen: „Gerade das Bundesamt hat gravierende Fehler gemacht.“ Ab 1999, also nach dem Abtauchen des NSU-Trios, habe im jährlichen Bericht des Bundesamtes gestanden, dass es keine rechtsterroristische Szene in Deutschland gebe. „Das hatte gravierende Auswirkungen auf alle Sicherheitsbehörden“, so Ströbele. Schließlich sei das Bundesamt die Behörde, die es wissen müsse.

Behörden ohne Einsicht

Auch beim Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße, der dem NSU zugerechnet wird, habe das Bundesamt einen großen Fehler gemacht. „Es hat zwar auf rechtsextreme Täter getippt, aber nur im Umfeld von Köln und nicht bundesweit gesucht“, so Ströbele. So seien sie nicht auf die drei vom NSU gekommen. „Und natürlich waren die V-Leute „Tarif“ und „Corelli“ ganz nah an dieser Szene dran.“ Da scheinen „Hopfen und Malz verloren zu sein“, so Ströbeles Fazit. „Schließlich ist die Voraussetzung dafür, dass sich bei den Sicherheitsbehörden etwas ändert, die Einsicht, dass sie versagt haben.“

Maaßen sei generell auf einem gutem Weg, sagt zwar die SPD-Innenpolitikerin Eva Högl, die ebenfalls Mitglied im Untersuchungsausschuss war. Aber auch sie fordert: „Man muss die Dinge, die falsch gelaufen sind, offen ansprechen und Konsequenzen daraus ziehen“. So müsse die Analysekompetenz des Bundesamtes gestärkt werden. „Auch das Bundesamt hat die Entwicklung zum Rechtsterrorismus nicht rechtzeitig erkannt.“ Zudem sei sie „alles andere als glücklich“ dass der Ausschuss, wie inzwischen klar sei, in den Sachverhalten der V-Leute „Corelli“ und „Tarif“ nicht alles vorhandene Material bekommen habe.

Entsetzt äußerte sich die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Barbara John: „Diese Haltung, die da zum Ausdruck kommt, die kann ich nicht verstehen“, sagte John. „Der Schutz seiner Quellen war dem Bundesamt immer wichtiger, als die Menschen zu schützen.“ Daran müsse sich ganz grundsätzlich etwas ändern.

V-Leute in Syrien

Kritik gab es auch an Maaßens Überlegungen, dass V-Leute des Verfassungsschutzes Informationen über die Pläne der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Syrien gewinnen könnten. „Ich will niemanden in die vordere Reihe oder in ein Terrorcamp schicken“, sagte Maaßen im taz-Interview. „Aber natürlich sind wir an Informationen über andere Personen aus Deutschland, die sich dort aufhalten, und über mögliche Terrorpläne höchst interessiert.“

Die Arbeit von V-Leuten in Syrien sei schon formal schwierig, kritisiert der Grüne Ströbele. Zwar dürfe ein V-Mann des Verfassungsschutzes mal ausreisen, „doch für die Arbeit im Ausland ist er nicht da, dafür ist der Bundesnachrichtendienst zuständig“. Auch sei es schwierig, sich vorzustellen, was bei der Terrororganisation „Islamischer Staat“ szenetypische Straftaten seien, die ein V-Mann verüben dürfen solle.

„Wenn ich mir das vorstelle, gruselt es mich“, sagte Ströbele. Denn es sei damit zu rechnen, dass zur Prüfung, ob der Dschihadist es auch ehrlich meine, dieser „schreckliche Aufträge bis hin zu schweren Straftaten“ verüben solle. „Wer V-Leute nach Syrien schicken will, nimmt Mord und Totschlag durch V-Leute in Kauf“, kritisierte auch die Linken-Abgeordnete Martina Renner.

Guido Steinberg, Sicherheitsexperte von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dagegen hält Maaßens Überlegungen eher für „vermessen“. Schließlich funktioniere bei Dschihadisten „die Informationsgewinnung mit menschlichen Quellen schon im Inland so gut wie gar nicht“.

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4 Kommentare

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  • Der Verfassungsschutz richtet mehr Schaden an, als er nützlich ist. Wenn der Staatsschutz jeden einzelnen Extremisten wirklich juristisch zur Rechenschaft ziehen würde, dann wäre die NSU gar nicht erst entstanden.

     

    Der VS kauft sich doch Information gegen Leistungen und die reichen von Straffreiheit bis zu Tausenden Euro. Und wie brauchbar sind solche Inforamtionen? Es gibt genug Hinweis darauf, dass viele Infos nichts bringen, nicht taugen und geradezu Mist sind. Viele V-Leute laufen auch aus dem Ruder und belügen den VF - manche machen das sogar ein paar Jahre.

     

    Ein solches System lädt zum Missbrauch ein. Dass aber etliche Migranten von der NSU brutal ermordet wurden, obwohl gerade beim VF viele Hinweise und Aussagen zur NSU anfielen, zeigt endgültig, dass der Verfassungsschutz als Behörde nichts taugt, er ist sogar gefährlich. Er verschlingt dazu noch Millionen und spielt miese, sogar tödliche Spiele. Ich plädiere für vollständige Auflösung. Deutschland wäre sicherer ohne den VF.

  • Erhard Stölting hat hat gerade erst zum "Kompromiss" von Minsk geschrieben: "Unter dem Strich ist ein Scheitern wahrscheinlicher als ein Erfolg. Aber man sollte trotzdem unbedingt optimistisch bleiben." Vermutlich hat er recht, der Mann. Woher ich allerdings im Fall der Ukraine oder auch im Fall des Hans-Georg Maaßen den sicher nötigen Optimismus nehmen soll, weiß ich nicht. Dermaßen viel Bildungsresistenz kann eigentlich nur (Tiefen-)Psychologisch bedingt sein. Und dass man mit Patienten, die nicht leiden unter ihrer Krankheit, sondern leiden lassen, nicht gut arbeiten kann an den gemeinsamen Problemen, weiß ich aus persönlicher Erfahrung. Und zwar viel zu gut, als dass ich Hoffnung haben dürfte.

  • Kriminalistische Arbeit für den Staat - oder für die Bevölkerung? Dies wird für mich immer deutlicher zur Hauptfrage bei all diesen Debatten über Geheimdienste, Überwachung und Terroranschläge, bei denen oft die Täter den Sicherheitsbehörden bekannt gewesen waren. In Maaßens Behauptung zum NSU-Komplex: „Damals sind schwere Fehler gemacht worden, aber ich verwahre mich dagegen, dies meiner Behörde zuzurechnen“ steckt ein Körnchen Wahrheit: zutreffend wäre gewesen: "dies ausschließlich meiner Behörde zuzurechnen." - Denn das BKA, seit einigen Jahren de facto mit Geheimdienstbefugnissen ausgestattet, trägt bis heute maßgeblich zur Vertuschung der tatsächlichen Vorgänge im NSU-Komplex bei. Die aktuellen Beiträge auf dem Blog "NSU-Leaks" zeigen dies anhand der Manipulationen, die hinsichtlich der Waffenfunde in Eisenach und Zwickau vorgenommen wurden. In einen größeren Zusammenhang ordnet die Vorgänge Sascha Lobo ein: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/sascha-lobo-vorsicht-vor-der-administrokratie-a-1017856.html - Er spricht von der Herrschaft einer verselbständigten Exekutive, die an den demokratischen Gremien vorbei regiert. Gerade die Sicherheitsbürokratie wähnt sich im Besitz des entscheidenden Wissens, wieviel Freiheit für die Bevölkerung noch zuträglich sei. Ich verstehe dies nicht als Warnung, sondern als nüchterne Beschreibung des gegenwärtigen Zustandes. Die Geheimdienste - einschließlich des BKA - haben ihre eigene Agenda. Jenseits jeder parlamentarischer Kontrolle. Die entsprechenden Kontrollgremien haben sich ebenso wie diverse Untersuchungsausschüsse als Mickymaus-Veranstaltungen erwiesen, in deren Konsequenzen Täter im Amt eher befördert, als strafrechtlich verfolgt wurden. Diese Situation ist sehr besorgniserregend, wäre prima, wenn die TAZ dazu mal ein Special machte!

  • Ich versteh die ganze Aufregung nicht -

    diesem sauberen Herr fehlt schlicht jegliches Unrechtsbewußtsein -

     

    Das war allerspätestens angesichts der

    Steinmeier/Maaßen-Affäre via Murat Kurnaz

    nicht nur klar, sondern auch allgemein öffentlich.

    Aber - einen derartigen Staatsbediensteten - der hartnäckig das rechtskräftige,

    nicht angegriffene Urteil eines Verwaltungsgerichts auf der Basis der unangefochten-herrschenden Rechtsmeinung - kackfrech als "vereinzelt" abtut

    und sich bis heute komplett uneinsichtig zeigt;

    den kann doch niemand bei klarem Verstand zum

    Chef der VS-Schlappis machen und sich dann wundern -

    daß dessen Indolenz und Uneinsichtigkeit weiterhin

    über die Maßen bodenlos ist.

    Auf welchem guten Weg dieser zum Gärtner gemachte Bock sein soll -

    dem Snowden ein normaler Krimineller ist -

    scheint sich nur SPezialDemokraten und seinen Parteifreunden zu erschließen.