Kolumne Besser: Skandal-Porno in Gummistiefeln
Journalismus heute: Wer bietet was? Wer hat das originellste Angebot, wer das aufregendste Sortiment? Und zu welchem Preis? Eine Shoppingtour.
H önön, Zeitungen sind am Arsch, Zeitschriften auch, niemand will sie mehr lesen, zumindest nicht dafür bezahlen, was niemand mehr hören kann. Doch während Journalisten immer noch jammern („Hönön, Zeitung am Arsch“), haben die Verlage die Zeichen der Zeit erkannt. Sie verkaufen halt was anderes. Eine Shoppingtour durch die deutschen Zeitungshops:
taz: Gummistiefel, rot, 53,00 Euro. „Diese halbhohen Gummistiefel sind überall Gold wert, wo es mal feucht und matschig werden könnte“, informiert die taz. Dazu in gewohnt selbstironischer Form der goldwerte Hinweis: „Die Stiefel fallen klein aus, sicherheitshalber bitte ca. 1 Nummer größer kaufen.“ Aber wie benutzt man die Dinger? „Einfach reinschlüpfen und los geht’s.“ Ah, Danke für den Tipp.
WAZ: Aus dem Sortiment „Pott Produkte“ holen wir uns für 22,95 Euro die Hundeleine „You never walk alone“ („Für die gemeinsamen Stunden mit dem besten Freund“). Hingerissen vom Humor des Ruhrpotts packen wir dazu für 17,95 Euro die „Trinkflasche, schwarz“. („Die extrem coole Alu-Trinkflasche für Fahrrad, Schulhof oder Maloche.“) Glückauf!
Neues Deutschland: „Kalender Bildende Kunst aus der DDR 2011“. Gut, der Gebrauchswert ist gering (Hallo ND, wir haben 2014!), aber umso sensationeller die Nachricht, dass die DDR bis vor Kurzem noch existiert haben muss und dort Honecker in Öl gemalt wurde. Beim Schnäppchenpreis von 3,50 Euro greifen wir noch mal zu: „Küchenkräuter in Töpfen“, 7,99 Euro. („Ein Kräutergarten auf Balkon oder Terrasse garantiert eine gesunde Geschmacksvielfalt.“)
Süddeutsche Zeitung: Verleger lieben es, einmal gedruckten Kram noch einmal zu verkaufen. Bei der SZ entscheiden wir uns darum für das „Streiflicht“, dessen Autoren die Werbetexte selbst schreiben: „Diese kostbare Sammlung der schönsten Streiflichter ist vor allem ein Geschenk an die Leser, für die diese Kolumne inzwischen ungleich wichtiger geworden ist als das tägliche Hofpfister-Brot mit Dinkelkruste.“ Die Sammlung der „Streiflichter“ ist so lustig wie Hofpfister-Brot mit Dinkelkruste, aber billiger, nämlich nur 12,90 Euro!
Bild: Hier kaufen wir nicht ein Buch, sondern zehn auf einmal. Nämlich die „Skandal-Edition-Box“ der „aufregendsten Bücher aller Zeiten“. Denn, so informiert die Bild-Literaturredaktion: „Der Inhalt der Romane ist so pikant, dass sie teilweise verboten wurden und viele Sittenhüter auf den Plan gerufen haben.“ Bukowski, Nabokov & die ganze Bagage für zusammen 75,00 Euro. Mit teilweise verbotenen Bildern, wie wir teilweise hoffen.
konkret: Extrem hippes Kapuzenshirt für extrem günstige 40,00 Euro und extrem hippe Ansichten. („Wenn sie die BRD feiern, ziehen wir uns dieses Kapuzen-Shirt an. 60 Jahre BRD sind genug.“) Und wir ziehen das auch nicht aus, wenn es schon 65 Jahre BRD sind, uns doch egal!
Zeit: Zeit Online hat das, was wirklich zählt: die Liebe. Die Partnerbörse Parship (Holtzbrinck) liefert heiratswillige Männer und Frauen, die Journalisten von der Zeit (auch Holtzbrinck) besorgen das redaktionelle Umfeld: „Erotische Rezepte: Wenn gemeinsam gespeist wird, muss nicht nur das Essen kochen.“ Oder: „Sehnsucht nach Geborgenheit – Warum sie so wichtig ist und welche Bedeutung sie für eine Partnerschaft hat.“ Oder was mit Kindern. Prima Zweitverwertung früherer Zeit-Titelgeschichten. Oder prima Erstverwertung künftiger.
Frankfurter Rundschau: Erstaunlich: Die FR hat eine Internetseite. Dort finden sich oben in der Leiste folgende Rubriken: „Zeitung“, „Abo“, „Anzeigen“, „Geschichte“ und „Trauer“ – der Niedergang der FR im Schnelldurchlauf. Klickt man auf die einzige Rubrik, in der es etwas zu kaufen gibt („Trauer“, was sonst?), öffnet sich das „Trauerportal Rhein-Main“, inklusive eines „Trauerratgebers“ mit Stichwörtern wie „Trauerbewältigung“, „Nachlassregelung“ und – besonders makaber – „Ratschläge zur Vorsorge“. Noch trauriger ist nur die Seite der Frankfurter Allgemeinen, wo es nichts zu kaufen gibt, nicht einmal Traueranzeigen.
Cicero: „Treffen Sie Ihre Wahl aus vielen attraktiven Cicero Produkten“, lockt der Cicero-Shop. Das würden wir gerne tun. Doch die Auswahl beschränkt sich auf den „Cicero-Sammelschuber“ („Die exklusive Art, einen kompletten Jahrgang Cicero aufzubewahren“, 15,00 Euro) sowie das „kleine Cicero-Notizbuch“ (verfügbar in rot und schwarz). Wir fackeln nicht lange, schließlich gibt es den „eleganten Begleiter für die täglichen Notizen“ (10,00 Euro) „nur solange der Vorrat reicht!“
Jungle World: Auf eine Produktbeschreibung hat man verzichtet, aber einen Aschenbecher mit dem eigenen Logo zu bedrucken, ist überzeugend genug. Und dann noch das pornografische Bild einer brennenden Zigarette – für 5,00 Euro gehört das Ding uns.
Berliner Zeitung: Wir schnappen uns die Kaffeetasse mit der Aufschrift „Morgenmuffel - noch nicht ansprechbar!“ Die ist superwitzig und zudem „ein tolles Mitbringsel, welches garantiert die Aufmerksamkeit erregt“. Und die wollen wir um jeden Preis, erst recht für 6,95 Euro.
Welt: 69,00 Euro für den Seidenschal „Iris“ schrecken ab. Aber, so macht sich die Kunstredaktion der Welt nützlich, „nicht ohne Grund gehören van Goghs Blumendarstellungen zu den bedeutendsten Werken seiner Zeit“. Na gut, dann kaufen wir nicht ohne Grund diesen Blumendarstellungsschal, warten 14 Tage auf die Lieferung und verkneifen uns hinterher das Meckern, sind „leichte Format- und Farbabweichungen“ doch „Zeichen der reinen Handarbeit“.
Titanic: Einer hat sie noch, die Mutter aller Devotionalien: den Kugelschreiber. Nicht geschenkt, sondern für 2,50 Euro. Vorsicht: Beworben wird darauf nicht das Satiremagazin, sondern eine obskure Kleinstpartei.
Spiegel: Welche Enttäuschung! Im Spiegel-Shop gibt es bloß den Spiegel (4,40 Euro), Spiegel-Geschichte (7,80 Euro) und das Manager-Magazin (8,50 Euro). Und selbst dieses Zeug wird über Amazon vertickt. So wird das nichts mit dem Journalismus der Zukunft.
Tagesspiegel: Vorbildlich hingegen der Tagesspiegel. Aus dem beeindruckenden Sortiment nehmen wir den „Zeitungshalter Tagesspiegel“. Der kostet nur 8,90 Euro, ist „einfach, aber praktisch“ und kommt praktischerweise ganz ohne Zeitung aus.
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