Geschichtsaufarbeitung bei den Grünen: Für Pädophilie und dagegen
Laut dem Politologen Franz Walter stützten Ur-Grüne Pädophile und kehrten sich bald ab. Ein Forschungsprojekt zum Thema soll 2014 abgeschlossen sein.
Die Grünen werden die Debatte über die Pädophilie anscheinend nicht los. Die Partei hatte nach heftigen Angriffen auf ihren EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit vor drei Monaten eine Forschergruppe um den Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter beauftragt. Sie soll erforschen, welchen Einfluss pädophile Gruppe auf die grüne Partei in den 80er Jahren hatten.
Eigentlich sollten Ergebnisse erst nach der Bundestagwahl vorliegen. Doch nun haben Franz Walter und sein Koautor Stephan Klecha in der Frankfurter Allgemeinen einen Text zum Thema veröffentlicht. Zentrales Ergebnis: Die Grünen haben bereits in ihrem Grundsatzprogramm 1980 die Legalisierung der Pädophilie gefordert.
Das stimmt – so halb. Denn bei dem Parteitag in Saarbrücken 1980 hatte, wie Walter und Klecha weiter schreiben, der konservative Baldur Springmann gegen die Legalisierung von Pädophilie protestiert. Man einigte sich nach einigem Händel auf die Bildung einer Kommission. Die Basis solle „sich intensiv mit der Auswirkung dieser Straftatbestände auseinandersetzen“.
Man war sich einig, das man sich uneinig war – und tat erst mal nichts. Formal war beschlossen, dass die Grünen die Pädophilie-Strafbarkeit abschaffen wollten, de facto aber nicht. Ob die Komission je tagte, so Stephan Klecha zur taz, „wissen wir noch nicht“.
Diese Episode ist typisch für den zwischen Desinteresse, Unentschlossenheit und Laisser-faire schwankenden Umgang der Grünen mit der Lobbygruppe SchwuP (Schwule und Pädophile) in den 80er Jahren. Es gab laut Walter und Klecha einige grüne Landesverbände – Rheinland-Pfalz, Bremen, Hamburg und Berlin –, die sich die Forderung der Pädolobbyisten nach der Streichung der Strafgesetzbuchparagrafen 174 (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) und 176 (Sexueller Missbrauch von Kindern unter 14 Jahren) zu eigen machten. Grüne Schwule in Baden-Württemberg hingegen kritisierten 1984 die Legalisierung der Pädophilie.
Wahlkampf 1985 in NRW
Der Wendepunkt war der Wahlkampf 1985 in Nordrhein-Westfalen. Dort hatten die Grünen zugelassen, dass die kleine, aber gut organisierte SchwuP die Forderung nach Legalisierung der Pädophilie ins Wahlprogramm drücken konnte. Es folgte ein Sturm der Entrüstung in der Öffentlichkeit gegen die „Kinderficker-Partei“. Die NRW-Grünen nahmen den Beschluss eilig zurück, die Wahlniederlage konnte sie nicht mehr verhindern.
Danach folgte der Bruch der Grünen mit den Pädoaktivisten – auch Schwulen- und Pädobewegung entfernten sich voneinander. 1990 konnte bei den Grünen „keinerlei Unterstützung von Pädophilie zum Ausdruck gebracht werden“, schreiben Walter und Klecha. Und mit dem Grundsatzprogramm 2002, das sexualisierte Gewalt als offensivste Verletzung der Menschenwürde darstelle, hätten die Grünen „mit ihrer Vergangenheit unwiderruflich gebrochen“.
Das mit mehr als 200.000 Euro großzügig ausgestattete Forschungsprojekt soll erst Ende 2014 abgeschlossen sein. Die Veröffentlichung kurz vor der Bundestagswahl in der FAZ kam überraschend. Klecha weist den Verdacht zurück, der Text sei eine wahlpolitische Intervention. „Wir nehmen bei unserer Veröffentlichungspraxis keine Rücksicht auf Wahltermine“, so Klecha zur taz. „Die grüne Kernwählerschaft lässt sich davon nicht erschrecken. Allerdings kann dies das bürgerliche Lager motivieren.“
Grüne reagieren gefasst
Erika Steinbach, rechte Frontfrau der Union, fordert schon mal umgehend Rücktritte. Die Grünen hätten intensiv versucht, „Sex mit Kindern straffrei zu stellen“. Daher müssten Grüne „ihre Mandate niederlegen.“ Klecha ist indes erstaunt, „wie wenig präsent das Thema im kollektiven Gedächtnis der Grünen ist“. Es sei auffällig, dass die Grünen kaum „historisches Bewusstsein haben, was die eigene Organisation betrifft“.
Bei den Grünen nimmt man die Publikation betont gefasst auf. Trotz des Drehs, den die FAZ der Studie gibt: „Pädophilie-Verstrickung der Grünen umfangreicher als bisher bekannt“. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lembke begrüßt, „dass Professor Walter bereits erste Ergebnisse vorgelegt hat.“
Will sagen: dass das Team um Walter demonstrativ keine Rücksicht auf grüne Wahlchancen nimmt, beweist deren Unabhängigkeit. Zudem, so Lemke, zeige der Text, dass „der Bruch mit Forderungen von Pädophilen vor mehr als zwei Jahrzehnten stattgefunden hat“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee