zwischen den rillen: Es weht ein kalifornischeres Lüftchen

Das eigene Album „Songbook“ zu nennen, ist ein ziemlicher Aufschlag, drängen sich doch zwangsläufig Assoziationen zum „Great American Songbook“ auf. Was ja wiederum keine Sammlung von Songs ist, sondern vielmehr einen Kanon bezeichnet: Jazz-Standards, Show-Tunes – klassisches Songmaterial, das die US-Unterhaltungsmusik um die Mitte des 20. Jahrhunderts eben prägte.
Dass das neue Album der Berliner Künstlerin Masha Qrella nun so heißt, weckt deshalb Erwartungen. Etwa, Stücke kennenzulernen, die die Singer-Songwriterin, die über eine subtile, aber sehr effektive Musikalität verfügt, geprägt haben – was bei ihrem Haken schlagenden Schaffen ja ein wilder Ritt sein könnte.
In den späten Neunzigern gründete Qrella, geboren in 1975 in Ostberlin, die Postrock-Combo Mina mit, bald folgte Contriva. Instrumentalmusik also – ihre Stimme suchte sie damals noch. Seit 2002 veröffentlichte sie dann verlässlich gute Soloalben. Lange sang sie mit ihrer hellen Stimme nur Englisch, oft hatte Qrellas Sound einen luftigen Westcoast-Vibe – auf „Keys“ (2016) strahlte er extrahell.
Das Doppelalbum „Woanders“ (2021), eine phänomenale, zeitgemäße Vertonung von Texten des Dichters Thomas Brasch, macht sie endgültig zum Feuilletonliebling. An das Singen auf Deutsch hatte sie sich schon mit ihrer EP „Day After Day“ (2019) und Texten von Heiner Müller und Einar Schleef herangetastet. Qrella schöpft also aus unterschiedlichsten Inspritationsquellen.
„Cool Breeze“, der Auftakt des neuen Albums, klingt tatsächlich wie ein Rückgriff auf Zeiten, als ein kalifornischeres Lüftchen durch Qrellas Indiepop wehte. Veröffentlicht wurde das Original 1979 von der Jeremy Spencer Band. Acht Jahre zuvor war Spencer plötzlich bei Fleetwood Mac aus- und in eine religiöse Sekte eingestiegen. Dieser Song klang jedoch verblüffend wie seine vormalige Band – wenn auch pathostriefender, nicht so flirrend wie die Brise, die Qrella wehen lässt. Im dazugehörigen Musikvideo rennt die Künstlerin über ein brandenburgisches Stoppelfeld, darüber schwebt eine Discokugel. Ursprünglich wollte Qrella das Stück für einen Fernsehfilm covern, für dessen Soundtrack sie angefragt war – letztlich ging der Auftrag jedoch an jemand anderes. Hintergrundinfos wie diese finden sich im Pressetext, bedauerlicherweise aber nicht in den Liner Notes – gerade bei dem Kessel Buntes, der das Album ist, wäre etwas Kontext für die Fangemeinde durchaus erhellend gewesen.
Vieles von dem, was auf „Songbook“ zu finden ist, hat eine ähnliche Entstehungsgeschichten. Zur Hälfte besteht das Album aus Coverversionen; die restlichen sechs Tracks sind Auftragsarbeiten, liegen bliebene Kollaborationen und einiges mehr. So vermittelt die Musik auch Einblicke in den Arbeitsalltag von Künstler:innen – und die Synergie- und Serendipitätsmomente, die im besten Fall daraus entstehen. Von Herzblutprojekten allein können heute nur die wenigsten leben.
„Songbook“ ist dennoch alles andere als eine Reste-Rampe, obwohl nicht jeder Song gleichermaßen zwingend wirkt.
Etwas fluffig, weniger soghaft wirkt „Sometimes the rain just keeps falling for a long time“ – entstanden aus einer Auftragsarbeit über Novalis, den Dichter und Philosophen der deutschen Frühromantik. Qrella hielt sich dabei an die englische Übersetzung und dreht diese durch die Mangel eines Prince-Songs und einer Purcell-Oper.
Oft genug schafft es Qrella jedoch, aus Fremd- oder Eigenkompositionen etwas Neues herauszukitzeln. Etwa, indem sie Manfred Krugs im Original eher unaufgeregten Song „Um die weite Welt zu sehen“, über einen Mann, der die sprichwörtlichen Zigaretten holen geht, um zu verduften, in einem quasi-psychedelischen Gewitter enden lässt. In der zweiten Strophe wird klar, dass seine Scham nicht einer verlassenen Liebe gilt, sondern der Sorge, als „Feigling“ zu gelten, „der seine Leute im Stich lässt“. Der eher unbekannte Song fand sich auf Krugs erstem Album, das er veröffentlicht hatte, nachdem er aus der DDR in den Westen umgesiedelt war. Stephanie Grimm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen