piwik no script img

zwischen den rillenDas Mondlicht festhalten

Voision Xi: „Queen and Elf“ (NetEase Cloud Music/Bandcamp)

Musik ist eine Traumwelt, die nach Verwirklichung strebt. Nein, so muss es nicht sein, aber es wäre vielleicht der höchste Anspruch von Musik: dass sie vermag, Erfahrungen zu schaffen, die das eigene Leben verändern; dass mit ihr Klänge kreiert werden, als Orientierung hinein ins Unbekannte.

Doch mitten im Song „Kagi“ der chinesischen Künstlerin Voision Xi vermeint man, just diese Orientierung verloren zu haben. Was als mitternächtlicher R&B-Song mit der Frage „How do you hold a moonbeam?“ begann, wird mittels Pianothema zur Variation der fließenden Songimpressionen des letzten Kate-Bush-Albums.

Nur ist der Songtext auf Chinesisch gesungen, und mit ihm führt ein Pfad hin zu einem glockenklingenden Thema im Stil der Minimal Music. Bläser greifen es auf, und plötzlich, ja plötzlich ist man wo? – im modalen Jazz, oder alsbald im progressiven brasilianischen Nach-Bossa des Komponisten Dori Caymmi.

Was ist das? Da sind wir nun im Unbekannten. Aber keine Angst, die Musik von Voision Xi hält uns, wenn wir es zulassen.

Tatsächlich ist der sechsminütige Song damit noch nicht vorbei, und doch hat er uns in keinem Moment gehetzt, eher lässt uns die Künstlerin aus Shanghai auf ihrem zweiten Album, „Queen and Elf“, leichtfüßig über unsicheres Terrain tänzeln. 2021 debütierte sie mit einer EP aus noch gänzlich elektronischer Musik und fügte 2022 auf ihrem Debütalbum bereits eine Band hinzu, die neben Flötisten und Oboisten auch mit einem Hypnoptisten namens „Dr. Lau“ aufwartete.

Der fehlt jetzt auf ihrem neuen Album, doch zwischen impressionistischen Miniaturen und in sich geschraubten, längeren Songs findet die Musik auch so zu mesmerisierender Qualität. Kennen Sie das verzückte Schweben von „I Only Have Eyes For You“, dem Doowop-Hit des US-Vokalquintetts The Flamingos aus dem Jahr 1959? Voision Xi gelingt kein solcher Song, aber sie knüpft an, genau an der Stelle, als Psychedelia noch vor ihrer Berührung mit der Rockmusik einst begann.

Hier finden wir den Ursprung ihrer Töne oder da, wo einst die kalifornischen San Sebastian Strings über das silbrige Schimmern des mondbeschienenen Meeres meditierten. Wellenlinien, die sich, wie im tropfend perkussiven Tasten von „We Can Be Shy“ zu gesprochenem Text zunächst in sanft, hymnische Wogen verdichten, um dann als expressiv-dissonanter Jazz zu branden.

Stets erlebt man bei Voision Xi ein Suchen in der Musik, im Song „No. 8 Signal“ kreist sie um ein Bossa-Thema, das sich klickernd zu avantgardistischer Ensemblemusik erhebt und in Neo-Soul mündet. All das ist frei von Kopflastigkeit oder koketter Pose.

In ihrer Frage nach dem Mondenstrahl und wie man ihn denn halten könnte, verweist Voision Xi vielmehr auf die Figur der Maria im Musicalfilm „The Sound of Music“, und wie ihr geht es dieser Musik tatsächlich darum zu fragen, wie es sich anders leben ließe.

Man denkt an die schüchternen Mutigen des Postpunk, an Alison Stattons Swing mit der britischen Band Weekend und die fordernden Statements in der Ästhetik von Kultlabels der 80er wie Les Disques du Crépuscule aus Brüssel oder ZTT aus London.

Wo heute das paradoxe Leiden, sich als anders zu empfinden, aber nicht als anders wahrgenommen werden zu wollen, einen großen Teil westlicher Popmusik prägt, sagt Voision Xi, es sei schon gut, anders zu sein, als Chance auf etwas Besseres, Reichhaltigeres, Schöneres, jenseits des Altbekannten. Genau das kann man hören! Und diese Einsicht vermag wirklich Leben zu ver­ändern. Oliver Tepel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen