zwischen den rillen: Wo ist der Krawall geblieben?
Für ihr neues Album „Yes, I’m a Witch“ ließ Yoko Ono 16 Künsterinnen und Künstler ihre alten Songs neu bearbeiten
Das Jubiläum ist erst nächstes Jahr, dann wird Yoko Ono 75 Jahre alt. Dabei gibt es jetzt bereits eine Konjunktur für die Songs der japanischen Performance-Künstlerin: Auf „Yes, I’m a Witch“ haben sich 16 Bands, aber auch Musikerinnen wie Peaches oder Cat Power die Originale noch einmal vorgenommen, in zwei Monaten soll zudem die CD „Open your Box“ mit DJ-Mixen erscheinen. Ono wiederum ist von den ganzen Projekten so sehr begeistert, dass sie in Interviews fortwährend für „Indie“ als das neue Ding schwärmt und eine Renaissance der rebellischen Sixties heraufziehen sieht. Dann wäre die Godmother of Punk ein weiteres Mal vorne mit dabei, nun eben als Großmutter von Antony and The Johnsons oder Le Tigre.
Tatsächlich sind Tribute-Alben immer beides: Hommage und Vereinnahmung. Mit einer Cover-Version kann man zeigen, wo man in die Schule gegangen ist, und zugleich deutlich machen, dass man sich von seinen Vorbildern emanzipiert hat. Schließlich war die Musik von Ono vor allem bunt aus den Spielarten des Siebzigerjahre-Rocks zusammengewürfelt – und so ein Revival braucht eigentlich niemand. Ähnlich dürften auch die an den Remix-Projekten beteiligten Musiker gedacht haben, denn außer Onos Gesangsspuren wurde nichts von dem reichlich zur Verfügung stehenden Ursprungsmaterial übernommen. Offenbar wollten sich The Flaming Lips als psychedelisierte Bombast-Band oder die Neo-Glamrocker von The Sleepy Jackson nicht mit dem Solo-Gniedeln eines greisen Gitarrenhelden wie Eric Clapton gemeinmachen, der bei frühen Aufnahmen der Plastic Ono Band mitspielte.
Insofern zieht „Yes, I’m a Witch“ konsequent einen Schlussstrich: Alles Gekreische der Meisterin ist noch immer State of the Art und deshalb willkommen; die begleitende Musik dagegen wird als Ausdruck einer vergangenen Epoche dezent entsorgt. Manchmal klingt es ja auch wirklich besser, was sich auf der Höhe der Zeit produzieren lässt. Bei Shitake Monkey wird aus „O’Oh“, das 1973 auf einem schluffigen Fender-Rhodes-Piano aufbaute, ein beatlastiger Clubsong, der aber noch genügend Platz lässt für eine hübsch irrlichternde Country-Slide-Melodie. Und „You and I“ marschiert im Bigband-Arrangement der Polyphonic Spree vom Banjo über Querflöten einen Berg of Sound empor, auf dessen Spitze ein Chor aus „Jesus Christ Superstar“ wartet. Mit anderen Worten: Ono setzt noch immer jede Menge Spleenigkeiten frei.
Aber mit der lockeren Auslegung der Songs wachsen auch die Probleme. Kann man Ono wirklich ohne größere Verluste aus dem historischen Kontext reißen und in eine Badesalzlösung aus Lounge, Hiphop oder Electronica-Gebastel tauchen? Bekanntlich lag eine Qualität von Ono darin, besonders auseinandersetzungsfreudig zu sein. Mit Phil Spector hat sie sich gestritten, als er ihre gemeinsam mit John Lennon aufgenommene Agit-Single „Happy Xmas (War is over)“ produzierte. Auch in der Dokumentation „Get Back“ sieht man sie ständig stänkern, während Paul McCartney doch bloß mit „Let It Be“ den nächsten Hit will. Und nach dem Ende der Beatles hatten die meisten Session-Musiker, die mit Ono und Lennon herumjammten, eine Heidenangst vor den Launen der Marquise von O.
Umgekehrt hört man den alten Aufnahmen häufig an, wie Ono mit ihrer scharf in den hohen Lagen kratzenden Stimme dagegen ankämpfte, dass am Schluss nicht wieder die üblichen zwölf Takte Rock ’n’ Roll herauskamen. Keine Frage, ohne Onos atonalen Singsang klingt selbst ein Album wie „Fly“ in weiten Teilen nicht nach hipper Avantgarde, sondern wie eingeschlafene Füße.
Diese Spannung geht auf „Yes, I’m a Witch“ mitunter verloren. Statt die Konflikte zwischen Stimme und Musik in die Gegenwart herüberzuretten, werden sie unter zu viel Sympathie begraben. Dann schmiegt sich das von Cat Power bearbeitete „Revelations“ als Minimal-Folk rundum entrückt dem Gesang an, wird „Kiss Kiss Kiss“ bei Peaches zum Sampling-Krawall, der Ono einfach mit auf die Party schickt, was ein vergleichbar gruseliger Ankumpelungsgestus ist wie der Gassenhauer „Sisters are doing it for themselves“, für den sich Anne Lennox 1985 ihre Dosis Frauenpower bei Aretha Franklin abholte. So sind die Sounds häufig nur eine Illustration der Vocals, was den Originalen einiges an Biss – auf der entsprechenden diskursiven Baustelle sagt man wohl: Inkommensurabilität – nimmt. Alles wird in eine hübsch harmlose, weil historisch längst durchgesetzte Crazyness eingebettet.
Wohl auch deshalb stammen viele der ausgewählten Songs aus den frühen Achtzigerjahren, als Ono nach dem Tod von Lennon ihr Heil auf dem Popmarkt suchte. Natürlich findet sich mit „Cambridge 1969/2007“ von The Flaming Lips die eine Ausnahme, die bewusst an eine Lärmorgie andockt, bei der sich Lennon damals auf der Gitarre wundgescheuert haben dürfte, während Ono schrie. Trotzdem wäre es gewiss interessanter gewesen, wenn im Jubelton der Neuinterpretationen auch Widersprüche sichtbar geworden wären. Zum Beispiel der formelhafte Feminismus in den Texten von Ono, der nur die klassischen Rollenmodelle kennt – aber wer würde sich schon an eine ironische Transgender-Variation von „Woman is the nigger of the world“ wagen? Vielleicht die Pet Shop Boys, die haben immerhin auch „Walking on Thin Ice“ von einer Lennon-Memorial-Hymne zum Disco-Track umgepolt, sehr zur Freude übrigens von Yoko Ono. HARALD FRICKE
Yoko Ono: „Yes, I’m a Witch“ (Astralwerks/EMI)
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