zwischen den rillen: Android: Sven Väth und die Teutonisierung des Techno
DISZIPLIN DES MASCHINENKÖRPERS
Der Frankfurter DJ Sven Väth verhält sich zu dem Berliner Großmaul Westbam wie Boris Becker zu Michael Stich. Der eine wurde einfach so zum Liebling, während der andere sich permanent bemühen musste, jenen Respekt einzufordern, der ihm eigentlich zustünde. Das Boris-Becker-hafte an Sven Väth ist auch, dass ihn Niederlagen noch mehr zur Lichtgestalt werden ließen: Er musste in den 80ern seine Kokainsucht überwinden, ganze Alben (wie „The Harlequin, The Robot & The Balletdancer“ von 1994) erwiesen sich als künstlerische Desaster, und ob nun „Eye Q“, „Harthouse“ oder „Recycle Or Die“ – alle seine Labels gingen irgendwann Konkurs. Aber Sven Väth stand immer wieder auf und machte weiter.
Sein Geheimnis ist, dass er seinen Mythos immer vor dem Ausverkauf geschützt hat. Glaubhaft vermittelte er, ihm ginge es um die Sache an sich, um Techno, um die Szene – obwohl gerade er es war, der die DJ-Gagen in astronomische Höhen hochtrieb. Wenn er heute als Mittdreißiger auflegt, tut er das zwar nicht mehr – wie in früheren Zeiten im legendären Frankfurter Technoclub Omen – mit einer Sauerstoffmaske, aber doch stets mit dem Willen, alles zu geben.
Sven Väth hat seine Visionen noch nicht verloren: Er glaubt an ein Leben danach. Während Boris Becker das „Drin“-Sein kokett als möglichen Beginn einer irgendwie gearteten Schauspieler-Laufbahn andeutet, bezeichnet Väth „Contact“ als Neubeginn, als Start in eine erstmals wirklich ernst zu nehmende Karriere als Produzent. Dabei hat sich das elektroide, stark an Kraftwerk und DAF angelehnte Sounddesign seiner neuen Platte bereits mit seinem zwei Jahre alten Clubhit „Schubdüse“ im Remix des eingefleischten Kraftwerk-Fans Anthony Rother angedeutet.
Auf „Contact“ baut Sven Väth nochmals zusammen, was aus seiner Sicht zusammengehört. So wie er Anfang der 90er dazu beigetragen hat, Trance als spezifisch deutsche Spielart von Techno zu etablieren – auch wenn es sich dabei streng genommen nur um den kommerziellen Strang einer afroamerikanischen „Erfindung“ Detroiter Produzenten handelte –, so bastelt er nun weiter an der Legende von Techno als teutonischem Kulturgut.
Die Überdeutschung von Kraftwerk mit ihren Bezügen zu Autobahn, Volkswagen und made in germany und die SS-Zackigkeit, die DAF als Image-Baustein verwandten, kehrt bei Sven Väth in der Pose des blauäugigen Deutschen mit Seitenscheitel und blondem Haar wieder. So wie sich Kraftwerk einst als Kinder von Wernher von Braun und Fritz Lang bezeichneten und sich der virulenten Konnotationen des Deutschtums für ihren popkulturellen Bastelkasten bedienten, so bezieht sich Sven Väth mit seinem Anti-Funk und der Selbststilisierung zur androiden Mensch-Maschine auf die Techno-Keimzelle aus Düsseldorf. Auf dem Cover von „Contact“ hat das durchaus etwas Bedrohliches.
Doch trotz martialischem Sprechgesang in „Dein Schweiß“: Mit Rammstein hat das nichts zu tun. Väth bezieht sich ausschließlich auf Kraftwerk und DAF und auf nichts dahinter, er führt lediglich deren recht unterschiedliche Konzepte der popkulturellen Verwurstung von „Deutschtum“ fort. Von Kraftwerk übernimmt er das Konzept des Maschinenkörpers und von DAF das Thema der Disziplin – was freilich nur nahe liegt bei jemandem, der immer noch als DJ-Powermaschine gilt, weil er weiß, dass er das nur mit eisernem Willen sein kann, und der seinen Körper regelmäßig durch Ayurveda-Kuren entschlackt. Der direkte Bezug auf Nazi-Ästhetik, wie ihn Rammstein mit ihrem Leni-Riefenstahl-Video praktiziert haben, ist etwas ganz anderes.
Sven Väth hat sein Gefühl für Musik, das er als DJ haben muss, noch nie adäquat selbst in seinen Produktionen umsetzen können. Zu Trance-Zeiten übernahm der Produzent Ralf Hildenbeutel den Job des Ideen-Transmitters.
Jetzt, wo es Väth um ein retro-futuristisches Sounddesign geht, hat er gleich eine ganze Armada angesagter Frankfurter Techno-Produzenten damit beauftragt. Er hat sich für einzelne Tracks jeweils mit Johannes Heil, Anthony Rother und den Jungs von Sensorama zusammengesetzt, um gemeinsam seine Soundvisionen umzusetzen. Der regelmäßig wiederkehrende Sprechgesang stammt aber jedes Mal von ihm.
So wirkt das Album trotz erstaunlicher Homogenität ziemlich facettenreich. Eine durchgehende Kälte vermischt sich mit unglaublich vielen Soundgimmicks und Einfällen. „Ein Waggon Voller Geschichten“ wartet mit einer durchdrehenden Bassline auf, wie man sie vom Levi’s-Hit „Flat Eric“ kennt, und „Strahlemann & Söhne“ flirtet mit dem von Väth so bewunderten Minimal-Techno. Der Schritt ins Leben, mit „Contact“ ist er Sven Väth gelungen. Jetzt heißt es nachziehen, Boris Becker.
ANDREAS HARTMANN
Sven Väth: „Contact“ (Virgin)
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