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zwischen den rillenDie eine bellt, der andere spricht: Musik von Michel Houellebecq und Anna Karina

Oberflächlich, aber gefühlvoll

Zwei skandalträchtige Romane hat er veröffentlicht und vier Gedichtbände, im Herbst erscheint ein Fotoband von ihm – und gerade ging in Monaco die Promotion-Tournee für seine Musik-CD „Présence humaine“ zu Ende: Es gibt kaum ein Feld, auf dem Michel Houellebecq, Großmeister der neueren französischen Literatur, derzeit nicht aktiv wäre.

Wie aber setzt man einen Dichter von der traurigen Gestalt eines Michel Houellebecq als Popstar in Szene, ohne sich und zugleich ihn lächerlich zu machen? Eine Herausforderung für seinen alten Freund Bertrand Burgalat, Chef des exquisiten Pariser Kleinlabels Tricatel. Der hat sich bislang vor allem am Projekt eines anspruchsvollen Easy-Listening abgearbeitet. Sein Credo: „Tricatel-Musik mag oberflächlich klingen, ist aber gefühlvoll.“

Für das Renommierprojekt „Présence humaine“ musste jedoch Neues her. Die Texte waren kein Problem: Houellebecqs Lyrikbände bergen jede Menge leicht rhythmisierbares Material. Und da Monsieur in der Sommerfrische besonders eifrig dichtet, lag der Gedanke an ein Konzeptalbum nah. Dessen Thema scheint zu sein: Der Dichter erlebt sich in der Fremde als besonders fremd.

Um die Balance zwischen Urlaubsgeplänkel und latenter Fremdheitserfahrung hörbar zu machen, verrührte Burgalat den psychedelischen Art-Rock der frühen Siebzigerjahre mit Muzakklängen derselben Zeit. Verblüffend: Die disparaten Sounds, mit denen man früher zum einen LSD-Räusche, zum anderen Softpornos illustrierte, funktionieren bei Burgalat/Houellebecq wunderbar als Kulisse für einen verqueren sommerlichen Alltag zwischen Entspannung und hypersensibler Selbstbeobachtung.

Der Dichter selbst lässt sich bei seinem Sprechgesang von Orgelattacken und aufgniedelnden E-Gitarren nicht aus der Ruhe bringen. An einem Punkt allerdings geriet das Multitalent dann doch an seine Grenzen: Versuche, ihn gar singen zu lassen, wurden schnell für gescheitert erklärt und von der CD verbannt.

Auch eine andere legendäre Gestalt der französischen Kultur hat gerade ihre erste CD vorgelegt: Anna Karina. Die Schauspielerin und Ex-Ehefrau von Jean-Luc Godard hat schon in vielen Filmen gesungen – ein eigenes Album aber gab es nie. Zu „Une histoire d’amour“ kam die inzwischen 59-Jährige denn auch ohne eigenes Zutun: Ein Theaterdirektor stellte sie dem erfindungsreichsten der neueren französischen Sänger vor, Philippe Katerine. Und der war auf der Stelle begeistert, für die Muse der Nouvelle Vague Songs schreiben zu dürfen – mag ihre Stimme auch schon ein wenig brüchig sein.

Fortan traf man sich regelmäßig zum abendlichen Musizieren: ein Apéritif, ein Chanson, ein Apéritif . . . Kein Wunder, dass die Chansons klingen, als seien sie für die alten Herren in der Loge der Muppetshow geschrieben worden: leicht wunderlich, aber quietschfidel. Karina und Katerine müssen sich prächtig verstanden haben. „Ich könnte deine Mutter sein“, singt sie, „Und ich dein Kind“, antwortet er. Und dann im Duett: „Bald wird man uns für Liebhaber halten.“ Ein einziges Lied allerdings weigerte sich die Schauspielerin zu singen: „300.000 cigarettes“. Das war wohl doch eine Spur zu realistisch.

Höhepunkt des Albums ist das Lied vom verloren gegangenen Schoßhündchen Lola. Da fällt Anna Karina in der letzten Strophe in ein rauhes und doch damenhaftes Bellen, „wuff, wuff, wau, wau“. Auch ein Weg, Fremdheit zu artikulieren.

REINHARD KRAUSE

Michel Houellebecq: „Présencehumaine“ (Tricatel/ Import),Anna Karina: „Une histoire d’amour“(Barclay France/ Import)

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