zwischen den rillen: Amerika feiert: Das neue Album von Modest Mouse
Distanzlos zur Erde
Amerika träumt nicht, Amerika schläft. Doch zuweilen wacht es dann auch auf aus dem tiefsten Schlummer und feiert plötzlich das nächste große Ding in Form einer Band, die mit dem gewöhnlichen Geschäft so gar nichts zu tun hat und deren Musik man überhaupt nicht vergleichen kann mit dem Rock, der in den Staaten State of the Art ist: eine Band namens Modest Mouse. Die stammt aus dem äußersten Nordwesten des Landes, aus der Gegend um Seattle, veröffentlichte dort auf kleineren Labels mehrere Alben, wurde mit dem letzten, „The Lonesome Crowded West“ betitelten, über die Grenzen des Bundesstaats Washingtons bekannt und unterschrieb nun in den Staaten einen Vertrag über sieben (!) Alben beim Majorlabel Epic/Sony.
Wenn man den Sound von Modest Mouse überhaupt irgendwo verankern will, dann ist es Indierock. Doch scheren sie selbst sich keinen Deut darum, ob dieser Sound zu ihrer White-Trash-Herkunft passt oder nicht, ob Indierock nun in einer Krise steckt oder nicht und ob man ihn nicht, wie mittlerweile gang und gäbe, elektronischer gestalten sollte.
Die drei jungen, zwischen 18 und 22 Jahre alten Herren Isaac Brock, Eric Judy und Jeremiah Green an Gitarre, Bass und Schlagzeug glauben lieber an die Größe und die Kraft ihrer Songs. Ihnen geht es um den Song an sich, nicht um Indie- oder Sonstwas-Rock, und sie tun mit ihrer Musik so, als müsste die Rockgeschichte noch einmal ganz neu geschrieben werden: „The years go fast and the days so slow“, heißt einer ihrer Songs, und auch der Titel ihres Debütalbums beschreibt das, was die Band umtreibt, nicht schlecht: „This Is A Long Way To Drive For Someone With Nothing To Think About“.
Lange Wege, auf denen man dann ruhig einen Gedanken verschwenden kann, muss man in der Tat zurücklegen, hört man ihr neues Album „The Moon & Antarctica“ – lange Wege, die beim ersten, zweiten und dritten Hören nicht unbedingt ein Ziel erkennen lassen. Da finden sich Songs, deren Spielzeit kurz ist und mitunter nur zwei Minuten dauert, die aber eine Fülle von Ideen, Melodien, Stimmungen, Neuanfängen und Enden bergen. Und andere Songs, die auch dann nicht auseinander fliegen, wenn sie über eine längere Distanz gehen – wozu nicht zuletzt eine vergleichsweise saubere und fette, der Urwüchsigkeit der Band aber überhaupt nicht im Weg stehende Produktion beigetragen hat.
Was die frühen Sonic Youth an Indierocksongs kaputt gemacht und die Pixies wieder aufgebaut haben, was dann von Pavement wieder ganz anders ausgelegt und zerstört wurde, das alles setzen Modest Mouse zu einem neuen, großen, epischen und zutiefst amerikanischen Ganzen zusammen.
Auf „The Lonesome Crowded West“ erzählten sie hauptsächlich Geschichten von Truck-Fahrern und Trailerpark-Bewohnern, von Greyhound-Bus-Reisenden und einem komischen alten Spieler namens Cowboy Dan, der Gott mit seiner Flinte zu erschießen versuchte. Geschichten vom Unterwegs- und Nirgendwo-zu- Hause-Sein – da konstatierte der Rolling Stone bewundernd, dass sie damit viel näher an einer Story von Richard Ford seien als am typischen, selbstreferenziellen Indie-Singalong.
Auch auf „The Moon & Antarctica“ finden sich wieder haufenweise diese typischen Americana, doch haben Modest Mouse diese nun in die großen, universellen Zusammenhänge eingebettet. So handeln viele der neuen Songs von dunklen Zentren des Universums, von fernen Galaxien, dritten Planeten und rasenden Himmelshunden, bekommen dann aber bei aller Abgedrehtheit immer wieder die Kurve auf die Erde: „It’s hard to remember that our lives are such a short time. It’s hard to remember what it takes such a short time. It’s hard to remember to live before you die“.
GERRIT BARTELS
Modest Mouse: „The Moon & Antarctica“ (Matador/Zomba)
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