zukunft des nahverkehrs: WOLFGANG SCHWENK über drohende Finanzlücken des ÖPNV
Die Ziele fest im Blick behalten
„Fahrt alle Taxi!“ war der Titel eines Kommentars des Techniksoziologen Andreas Knie an dieser Stelle im Februar anlässlich des 100. Jubiläums der Berliner U-Bahn. Die taz diskutiert aus diesem Anlass – immer samstags – streitwürdige Thesen zur Zukunft des Nahverkehrs. Zuletzt schrieb Stephan Rammler über die Enge in der Menge.
Über den ÖPNV wird engagiert gestritten: „Mangelnder Wettbewerbsdruck“, „intransparente Finanzierung“, „hohe Preise“, „fehlende Innovationskraft“. Stellen wir aber zunächst einige Fakten fest: ÖPNV ist in den Städten der Lösungsweg für verkehrs- und umweltpolitische Probleme. Als Teil kommunaler Daseinsvorsorge sichert er Mobilität und Erreichbarkeit für jedermann, ob zur Schule, zur Arbeit oder in der Freizeit. Die Kundenstruktur spiegelt dabei die gesellschaftliche Struktur eines Verkehrsgebietes wider. Die teilweise gegensätzlichen Interessen einzelner Fahrgastgruppen (z. B. für oder gegen Fahrradmitnahme) stellen die Verkehrsunternehmen aber vor einen schwierigen Vermittlungsauftrag.
Eine seit Jahren laufende Qualitätsoffensive führte bereits zu steigenden Kundenzahlen. So nutzten in 2001 deutschlandweit erstmals mehr als 9 Milliarden Kunden den ÖPNV. Diese Zahl belegt die Innovationsstärke der Branche. Ein Beispiel aus der Region: Der Regionalexpress 1 von Magdeburg über Berlin nach Cottbus hat innerhalb von drei Jahren die Zahl seiner Fahrgäste auf 38.600 (2001) glatt verdoppeln können! Dabei stehen Busse und Bahnen angesichts einer schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte unter enormem Effektivitätsdruck. Höhere Wirtschaftlichkeit wurde bereits mit Restrukturierungsprogrammen, der Einführung marktgerechter Preise sowie steigenden Kundenzahlen erreicht. So konnten die Mitgliedsunternehmen des VDV – sie befördern rund 92 Prozent der deutschen ÖPNV-Kunden – ihren Kostendeckungsgrad von ca. 60 (1993) auf rund 69 Prozent (2000) steigern. Allein die BVG konnte ihren Kostendeckungsgrad in den letzten neun Jahren von 40,3 auf 60,1 Prozent erhöhen, bei gleich hohem Angebot!
Verlässliche Instrumente staatlicher und kommunaler Kofinanzierung bilden die Basis für den Erfolg der Restrukturierungsmaßnahmen sowie die im internationalen Vergleich hohe Qualität des ÖPNV in Deutschland. Einige Verkehrsunternehmen haben schon heute eine Markt- und Ertragsposition erreicht, die eine Deckung der Betriebskosten über das Fahrgeld ermöglicht. Dies ist ein denkbares Orientierungsziel bei der Weiterentwicklung der Förderinstrumente. Die transparent darzustellenden Kosten der Infrastruktur in der Herstellung, Erneuerung und Bereitstellung, die politisch gewollte Förderung bestimmter Kundengruppen sowie angebotsorientierte Elemente der Verkehrsbedienung bedürfen allerdings weiterhin der kommunalen Kofinanzierung.
Aktuell wird aufgrund von EU-Kommissions-Vorschlägen zur Marktöffnung heftig über die Reform der öffentlichen Finanzierungsinstrumente des ÖPNV diskutiert. Neben den Kürzungstendenzen im bestehenden Fördersystem – z. B. Reduzierung der Ausgleichsleistungen im Ausbildungsverkehr – werden weitere Vorschläge debattiert: das Herausbrechen einzelner Elemente aus dem jetzigen Fördersystem sowie Überlegungen zur grundsätzlichen Umgestaltung der Finanzierung. So könnten z. B. die gesamten Finanzmittel für den straßengebundenen ÖPNV bei kommunalen Aufgabenträgern gebündelt werden.
Es droht aber eine Finanzierungslücke. Denn die Aushöhlungstendenzen beim öffentlichen Finanzierungssystem treffen auf einen zeitgleich steigenden Finanzbedarf für Erhalt und Erneuerung der kommunalen Infrastruktur. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) erwartet im laufenden Jahrzehnt einen kommunalen Investitionsbedarf von rund 665 Milliarden Euro für Straßen und ÖPNV. Das Difu kommt zu der Einschätzung, dass das Investitionsniveau um 40 bis 50 Prozent über das heutige Niveau steigen müsste.
Es bedarf daher neuer, finanziell ergiebigerer Maßnahmen, die weit über das bei den Verkehrsunternehmen vorhandene Einsparpotenzial hinausgehen, um die drohende Finanzierungslücke und den damit verbundenen Qualitätsverlust zu verhindern. Neben einer dauerhaften Sicherung der Anteile des allgemeinen ÖPNV an den Regionalisierungsmitteln werden u. a. folgende Vorschläge diskutiert: zwei Cent pro Liter aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes zweckgebunden über das Regionalisierungsgesetz für den Nahverkehr zur Verfügung zu stellen; weiter: Ein Teil der Einnahmen aus der Ökosteuer sollte nach dem Grundsatz „umweltbedenklicher Verkehr finanziert umweltfreundlichen Verkehr“ für den öffentlichen Verkehr eingesetzt werden. Und: die Einführung von Sonderfinanzierungsinstrumenten für den ÖPNV, wie sie z. B. in Frankreich durch die Nahverkehrsabgabe besteht. Behörden- oder marktorientierte Lösungsansätze sollten allerdings je nach den kommunalen Verhältnissen in der Aufgabenteilung zwischen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen vor Ort bestimmt werden.
Wie die aus Brüssel erwarteten rechtlichen und politischen Klärungen aussehen werden, ist gegenwärtig ungewiss. Das Fazit für Entscheider in Politik, Behörden und Verkehrsunternehmen lautet daher: Offensive und maßvolle Weiterentwicklung der bewährten Finanzierungsinstrumente und die Kernziele für die nächsten Jahre nicht aus den Augen verlieren! Mehr Fahrgäste durch Erhöhung der Kundenzufriedenheit sowie Fortsetzung des erfolgreichen Restrukturierungskurses der Verkehrsunternehmen!
Wolfgang Schwenk, Dipl.-Verkehrsingenieur und Stadtplaner, ist Leiter des Berliner Büros des Verkehrs.
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