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wortwechselKartoffelsalat und offene Grenzen – heiliger Traum?

Deutschland sitzt unterm Baum und beschützt sein Wohnzimmer. Den meisten geht es immer noch Gold – aber bei dem Gedanken an offene Grenzen stellen sich die Haare auf

Alles Gute! Wo wird sie leben? Für 550 Flüchtlinge ging es mit Sonderbussen in Notunterkünfte weiter, nach der Ankunft aus Salzburg am Bahnhof Berlin-Schönefeld Foto: Christian Mang/imago

„10 Jahre ,Wir schaffen das‘: ,Offene Grenzen sind sehr wohl realisierbar‘. Die globale Bewegungsfreiheit sei keine Spinnerei, sagt Polit-Ökonom Fabian Georgi. Die Linke sollte an ihr festhalten“, taz vom 21. 12.25

Eine Utopie ist eine Idee!

Fabian Georgi spricht es gegen Ende klar aus: „Ich kann das nicht in jedem Detail ausmalen, dafür müsste ich die gesamte politische Ökonomie dieser neuen Welt kennen.“

Daran ist zweierlei greifbar: zum einen handelt es sich in der Tat um eine Utopie; zum anderen wird eben diese Utopie ausdrücklich als Utopie, als strukturell noch gar nicht beschreibbar angesprochen. Das kann mensch alles vertreten, ist humanistisch gedacht auch alles richtig. Ich bin antinational eingestellt, aber leider fehlt hier, wissenschaftlich betrachtet, der erklärende Punkt, wie denn ökonomisch und insgesamt das Ganze funktionieren soll, wenn die Macht- und Wohlstandsverteilung in der Welt ceteris paribus verbleiben? Allerdings wird die „gelehrt bauchlinke“ europäische Erwartung des netten Matcha-Latte- und Lastenradlebensstils nicht aufrechterhalten werden können. Das ist gar nicht per se schlecht, es wäre nur der Ehrlichkeit halber auch nett, es so zu sagen.

„Alles linke Romantik?“

Man kann immer leicht schreien: Alles linke Romantik! Tatsache ist, dass gerade etliche bisher bewährte Systeme global kollabieren; davon ist Migration ein Symptom. Neue Strukturen entstehen aber nicht einfach so. Es bedarf des Willens und der Anstrengung, über lange Zeit etwas zu suchen, was seit Margaret Thatcher häufig als Teufelszeug imaginiert wird: Alternativen.

Die Aufforderung aber, doch bitte die fertigen Alternativen vorzuzeigen, sonst rede man Unsinn – ist selbst Unsinn.

Die Idee, dass Rassismus ein Ausfluss kapitalistischer Verhältnisse sei, gefällt natürlich jedem Antikapitalisten. Wer im Sozialismus groß geworden ist, kann darüber aber nur lachen.

Es wird noch sehr viel mehr Flucht und Migration geben und geben müssen. Darüber sollten wir froh sein und wir sollten darauf vorbereitet sein.

Das heißt: wir brauchen eine global wirklichkeitsnahe Gegenerzählung zur rechtsradikalen „Migrationspanik“ (guter Buchtitel von Judith Kohlenberger!), von der sich leider auch fast die gesamte politische Mitte nach rechts treiben lässt.

Ja, ich denke auch, es wird tatsächlich Völkerwanderungen geben. Das transnationale Zementieren von Grenzen ist ein Präventivschritt – der aber sinnlos sein wird, wenn die Nationalstaaten zusammenbrechen.

Alles nur Sozialismus?

Ich wünsche mir mehr ernsthafte Diskussion zu diesem Thema. Mein Ziel sind offene Grenzen, eine emanzipierte, gerechte Gesellschaft, die im ökologischen Gleichgewicht lebt. Aber wie kommen wir dahin? Was kann jeder dafür tun? Ich finde das Interview liefert zu wenig Konstruktives.

Viele Menschen erleben reale Überforderung: knappen Wohnraum, überlastete Kommunen, ein Bildungssystem am Limit. Diese Sorgen einfach als wahltaktisch instrumentalisiert oder ideologisch verzerrt abzutun, das greift zu kurz.

Also müssen wir jetzt nur für Weltfrieden und Kommunismus sorgen, und schon sind offene Grenzen möglich?

Wozu braucht man dann überhaupt noch Grenzen? Muss ja alles auch bezahlt werden …

Meines Erachtens ist Georgi ein extrem naiver Wissenschaftler. Migration muss immer gesteuert werden. In jetzt schon überfüllte reiche Ländern kann man nicht einfach noch zusätzliche Milliarden von Menschen aufnehmen. Das würde zu extremen gesellschaftlichen Konflikten führen und wäre das beste Wahlprogramm für extremistische Parteien. Es gibt aber ein Land auf der Welt mit extrem viel Raum für Migration: Russland …

„Und was kann ich tun?“

Also, wenn man jedes Wirtschaftssystem, das nicht darauf beruht, andere Gruppen auszunutzen und klein zu halten, als Sozialismus bezeichnet, dann bleibt wohl irgendwann nur noch Sozialismus als mögliche Gesellschaftsform übrig.

Oder man könnte anerkennen, dass es zwischen Turbo-Ausbeutungs-Kapitalismus und Gulag-Kommunismus noch viele andere Gesellschaftsformen geben könnte, zwischen denen man wählen kann.

Im Interview fragte die taz: „Und wie sollen wir das bezahlen, wenn alle kommen dürfen?“

Statt einer Antwort kommt nur ausweichende und inhaltslose Ablenkung. Sorry, da habe ich etwas mehr erwartet.

Wir müssen über die „Umverteilung“ des Überreichtums nachdenken. Welche ethische Rechtfertigung kann es dafür geben, dass wenige Menschen und Unternehmen den Planeten ausbeuten und Milliarden für sich horten? Der Kapitalismus wird als Ursache benannt und niemand verlangt, dass die Grenze geöffnet und die Lösung an einem Tag gefunden wird.

Diese Enteignungsfantasien sind doch extrem naiv. Die Reichen haben keinen Geldspeicher wie Dagobert Duck. Deren Vermögen ist verteilt. Glaubt jemand wirklich, die bleiben lange genug sitzen – bis sie beraubt werden? Die gehen einfach samt Vermögen in ein anderes Land, das für sie attraktiv ist.

Zuwanderung stellt jede Gesellschaft vor große Aufgaben. Das war schon in den späten 1940ern nicht anders, als Millionen Binnenflüchtlinge und Heimatvertriebene untergebracht werden mussten. Und die waren damals auch nicht überall gerne gesehen. Möchte jemand vielleicht, dass Geflüchtete von Staats wegen in fremde Wohnungen einquartiert werden?

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