wortwechsel: Herzliche Umarmung und „Danke, dass ihr da wart“
Die Innenstadt abgeriegelt in Gießen: „Die Rechtsradikalen werden hoffiert und die, die für Demokratie stehen, verprügelt.“ Es hat die Falschen getroffen, finden die Leser*innen.
„Stadt im Ausnahmezustand.“ Rund 25.000 haben Zeichen gegen rechts gesetzt“
taz, Liveticker vom 28/29. 11. 25
Überzogene Sicherheitsmaßnahmen
Ich war nicht auf der Seite der Lahn, wo die Hessenhallen stehen, nicht bei den Blockaden und heftigen Polizeieinsätzen. Ich war auf der anderen Seite, in der Innenstadt von Gießen, dem Teil der Stadt, der durch schwer bewachte Brücken von den Hessenhallen vollständig abgetrennt worden war. Ich war da, wo keine Randale oder anderes Ungemach vorkam oder zu erwarten war, da, wo die genehmigten Demonstrationen und Kundgebungen stattfanden.
Es war eine schöne, gut organisierte Veranstaltung. Was mich jedoch umtreibt, ist die völlig Stilllegung von Gießens Innenstadt von Freitagfrüh bis Samstagabend – also dem Teil, der ja ohnehin vom AfD-Geschehen abgeschnitten war. Die Öffis fuhren nicht mehr, die Schulpflicht war aufgehoben, eine Vielzahl Straßen einfach gesperrt, keine Parkmöglichkeiten, Theatervorstellungen abgesagt, Läden mit dem Hinweis auf die Ausnahmesituation geschlossen.
Sogar die B 49 zwischen Wetzlar und Gießen wurde dicht gemacht. Was mich verstört, ist die Panikmache, die gegriffen hat. Viele, die noch im Januar gg. Rechts auf der Straße waren, haben angesichts der Maßnahmen und Warnungen Angst bekommen. Viele Bewohner Gießens und die Ladenbesitzer sind wütend auf die Demonstranten, die ihnen ihren 1.-Advent-Samstag versaut haben. Ich kann die Notwendigkeit für den Ausnahmezustand nicht erkennen, der politisch hergestellt und noch immer verteidigt wird, außer vielleicht dem, genau jene abzuschrecken, die nicht so politisch interessiert oder organisiert sind, und dem gelungenen Versuch, die Menschen zu spalten, die noch vor Kurzem gemeinsam gg. Rechts unterwegs waren. Elke Müller, Wetzlar
„Danke, dass ihr da wart“
Ich saß am Samstag zwischen 4 und 5 Uhr im Zug von Frankfurt nach Gießen mit vielen jungen Aktivist:innen im überfüllten Abteil und dachte, ej, das sind engagierte junge Menschen, die demokratische Werte verteidigen und sich nicht scheuen, aktiv gegen rechte Spinner vorzugehen, die unsere Gesellschaft spalten und die Grund- und Menschenrechte demolieren. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, dort junge, sympathische Menschen und ich als fast 68 jährige Frau, die sich fragt, wie es sein kann, dass wir jetzt wieder in dieser braunen, faschistischen Soße gelandet sind, hat mich sehr berührt.
Gegen Mittag schaute ich dann in durchnässte und teilweise auch frustrierte Gesichter. Ich hab mich nicht getraut, aber ich hatte ein drängendes Bedürfnis, jeden dieser jungen Menschen für seinen Einsatz zu umarmen und ihm zuzurufen: „Wie schön, dass es euch gibt, euren Mut, eure Entschlossenheit und euer kluges taktisches Vorgehen.“ Es war frustrierend, wieder mal zu erleben, wie die AfD demokratische Rechte nutzt, um die Demokratie anzugreifen und zu zerstören. Daraus ergab sich für mich die Conclusio, ein AfD-Verbot zu unterstützen.
Diskutieren kann man mit den meisten Rechten nicht, da sie ausgrenzen, spalten, diffamieren und Akzeptanz und Toleranz ausschließlich für eigene Positionen einfordern. Die jungen Aktivist:innen hingegen kriegen von mir auf diesem Weg ein fettes „Danke, dass ihr da wart“ und eine herzliche Umarmung: Macht weiter, gebt nicht auf!! Elke Wetzel, Frankfurt am Main
Üble Nachrede
Ein großes Dankeschön an alle Antifaschist:innen und Demokrat:innen, die gegen die Organisation der Faschisten demonstriert haben. Unsäglich war auch die Warnung von MP Rhein vor gewaltbereiten Demonstrant:innen. Üble Nachrede! Gewaltbereit sind den Kriminalstatistiken zufolge Rechtsextreme. Und Hooligans, aus deren Reihen der neue Jung-AfD-Anführer Hohm kommt.
Leser*in apfelkern auf taz.de
Was geht ab?
„Seit wann muss der Staat eigentlich dafür sorgen, dass Rechtsextreme wie Staatsgäste mit Polizeieskorte an einen Versammlungsort transportiert werden? Und stattdessen Leute, die sich gegen die Gründung einer rechtsextremen Kaderjugend stellen, gepfeffert und geprügelt werden?“ Genial auf den Punkt gebracht. Die Rechtsradikalen werden hofiert, die, die für Demokratie stehen, verprügelt. Was geht ab? Andreas Flaig auf taz.de
Gewaltsam/gewaltfrei
Leider hat auch die taz vor den Protesten gegen die Gründung der AfD-Jugend in Gießen die Begriffe friedlich und gewaltsam bzw. gewaltfrei durcheinandergebracht. Die Verwirrung ist verständlich, wenn Gerichte in Verhandlungen zu vermeintlicher Nötigung durch Proteste etwa der Letzten Generation feststellen: Die Versammlung war friedlich, aber gewaltsam. Friedlich, weil niemanden angegriffen. Gewaltsam, weil Autofahrer:innen in der zweiten Reihe warteten.
Hier entfernt sich die Justiz so weit von Alltagssprache, dass eine demokratisch bedenkliche Kluft zwischen Bürger:innen und einer der wichtigen rechtsstaatlichen Gewalten entsteht.
Umso wichtiger, dass Journalist:innen da sprachlich sorgfältig sind. Auch in der Alltagssprache ist unfriedlich und gewaltsam nicht das Gleiche. Die Menschen, die gegen die AfD-Jugend protestieren, sind nicht friedlich. Sie sind wütend, sie stören die Ordnung mit ihrem Protest. Wer sich in den Anfahrtsweg der AfD stellt, bricht Regeln. Die Proteste waren weitgehend gewaltfrei – leider nicht immer. Leider, denn jede Gewalt von Demonstrant:innen hilft den Dobrindts und Posecks, das gewaltsame Vorgehen der Polizei zu rechtfertigen.
Die AfD ist rechtsextremistisch und antidemokratisch. Sie bricht den gesellschaftlichen Frieden und stiftet zu Konflikten an. Wenn es den Innenminister:innen wirklich um Frieden geht, sollten sie das Verbot der AfD vorantreiben.
Stefan Diefenbach-Trommer, Marburg
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