wortwechsel: „Ein Wumms“ gehtdurch Deutschland?
130 Milliarden Euro! Helfen die Riesensummen des Konjunkturpakets über die systemischen Krisen hinweg? Wird der Geldregen gerecht verteilt? LeserInnen zweifeln und widersprechen
Signal: Zusammenhalt?
„Was taugt das größte Konjunkturpaket aller Zeiten“, taz vom 5. 6. 20
Das viel bejubelte Konjunkturprogramm der Groko, das von allen Parteien Zustimmung findet, kann ich mit meinem Hausfrauenverstand einfach nicht gut finden. Der zweitgrößte Posten jener Planung sieht Mehrwertsteuersenkungen für 6 Monate vor. Davon sollen alle profitieren, toll! Ein Hartz-IV-Bezieher kann so im Falle der tatsächlichen Durchreichung der Steuerabsenkung etwa 10 Euro pro Monat mehr ausgeben, also 60 Euro insgesamt! Ganz anders die Chancen für Vielverdiener, die sich endlich ein teures E-Auto (als Zweitwagen?) leisten wollen: Bei einem Kaufpreis von 50.000 Euro fürs E-Mobile werden 1.500 Euro Steuern gespart, inklusive Prämie also 7.500 Euro. Da müssten dem Hartz-IV-Bezieher die Steuererleichterungen schon länger als 14 Jahre gewährt werden, um auf den gleichen Betrag zu kommen. Und die Ersparnisse für alle anderen Anschaffungen des täglichen Bedarfs kämen für Besserverdiener ja noch dazu. Das nenne ich gute Lobbyarbeit! Hätte man jedem Bürger unseres Landes 250 Euro steuerfrei in die Hand gegeben ohne Einkommensprüfung, so wäre dem Einzelnen in gerechterer Weise und vielen Millionen besser und möglicherweise der Wirtschaft durch den Konsum auf breiterer Basis gedient. Diese Maßnahme hätte die gleichen Kosten wie die Mehrwertsteuersenkung zur Folge, hätte aber ein starkes Signal für den Zusammenhalt in der Gesellschaft bedeutet.
Rena Bzoch, Schnackenburg
Studis schröpfen?
„Almosen und Darlehen für eine Million Studis“, taz vom 9. 6. 20
Darf man an Studis in Not verdienen? Der Staat bekommt Kredite zu Minuszinsen, die Wirtschaft erhält Milliardenhilfen. Ist das einseitig oder Klientelpolitik? Die gut gebildeten Menschen mit ihrer Kreativität in den 4.0-Welten sind weit mehr als „Humankapital“. Als Babyboomer sind mir die Verwerfungen im Bildungssystem durch Fehlplanungen noch gut in schlechter Erinnerung. Bildungspolitik ist kein Aushängeschild der Parteien mit Regierungsverantwortung. Diese „Marktlücke“ und Engagementkluft zu füllen, könnte ein Baustein für zukünftige Koalitionen auf verschiedenen Ebenen werden. Konstruktive und nachhaltige Lösungen für finanzielle Probleme werden die Studis wohl nicht so schnell vergessen. Wer Gewerkschaften vergrätzt, kann hier was gutmachen. Martin Rees, Dortmund
SPD im Maschinenraum
„Jetzt auch in Deutschland wütende DemonstrantInnen vor der Regierungszentrale aufgetaucht“, taz vom 4. 6. 20
Der satirische taz-Titel spielt den Ball in die richtige Richtung. Schließlich liegt die entscheidende Achillesferse auch der neuen, eher links orientierten SPD-Spitze darin, dass ihre Partei durch die vielen großen Koalitionen im bildlichen Sinne nur noch als Pudel von Angela Merkel und ihrem Kanzleramt wahrgenommen wird, wo am Ende die eigentlichen Beschlüsse getroffen werden. Deshalb hilft hier den Sozialdemokraten nur ein radikaler Paradigmenwechsel aus der Misere, indem man sich endlich klar und deutlich vom Koalitionspartner emanzipiert, zumal die bisherige Rollenverteilung, wonach die Union auf dem Sonnendeck liegt und die SPD im Maschinenraum der Groko ackert, bis auf vielleicht einzelne persönliche Karrieren ohnehin keine echte Zukunftsperspektive bietet. Rasmus Helt, Hamburg
„Anti-Schock-Strategie“, taz vom 6. 6. 20
Erfolg Zivilgesellschaft
Ja, das Konjunkturpaket der Groko ist unerwartet sozialdemokratisch. Das kann man der SPD nach den Schelten der vergangenen Zeiten auch mal anrechnen. Dabei sollten wir uns aber nicht täuschen lassen: Naomi Kleins Gedanken zur Schock-Strategie sind aktuell wie nie zuvor. Das zeigt alleine die Tatsache, dass neoliberale Absurditäten wie die Abwrackprämie oder Steuererleichterungen für Reiche überhaupt ernsthaft diskutiert wurden. Man fragt sich, wie das Paket ohne diese diskursive Erwartungsabsenkung wahrgenommen werden würde. Das Konjunkturpaket ist nicht (nur) der Erfolg der SPD, sondern vor allem der einer Zivilgesellschaft, die Kleins Thesen im Hinterkopf hatte. Es gilt, weiterhin wachsam zu sein. Die Neoliberalen werden weitere Versuche starten, um ihre Schock-Strategie durchzusetzen. Jakob Nehls, Werder
Die Schock-Strategie
Naomi Klein dokumentiert in „Die Schock-Strategie: Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus“ die historische neoliberale Schockmethode Friedman Miltons, die Chicago Boys in Chile 1973, Mexiko 1987, Argentinien, Polen 1988, Militärputsch, Ausnahmezustand, Zusammenbruch der Währung, Infrastruktur, Gefahr des Failed State, Widerstand gegen Sozialabbau, Abbau Gesundheitssystem, Daseinsvorsorge, Wohnungsbestand, Privatisierung im Bereich Energie, Verkehr, Telekommunikation, Rentensystem – und den Versuch diese Staaten zu sanieren, was in keinem Fall gelang. Im Gegenteil, Staatsschulden explodierten. Prognostizierte private Investitionen bleiben aus.
Joachim Petrick auf taz.de
Co2 erstickt Wirtschaft
„Es fehlt der große Wumms“,
taz vom 5. 6. 20
Die Maßnahmen zur Abwehr der Coronafolgen, fälschlicherweise Konjunkturpaket genannt, werden im Ganzen positiv bewertet. Der befragte Konjunkturforscher würde sich für überflüssig erklären, würde er sich nicht den großen Wumms wünschen – noch mehr Konjunktur als vor Corona. Da mehr als die Hälfte des CO2 in der Atmosphäre seit 1980 emittiert wurde – das Problem des Jahrhunderts –, ist es müßig, solche Debatten zu führen. Zu erfragen ist: Wie kommen wir zurück zu CO2-Emissionen, die den Klimawandel nicht treiben? Wie können in entwickelten Erdregionen extreme soziale Schieflagen vermieden und in anderen Regionen nicht noch verschärft werden? Für beide Fragen könnte die Bundesrepublik auch jetzt noch weltweites Experimentierfeld sein. Klaus Warzecha, Wiesbaden
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