wladimir kaminer: Die Knüller Kiste
IntershopEin Wunder der Technik: Die ganze Welt für 99 Pfennig ohne Mücken
Seitdem die Kaufhalle „Knüller Kiste – die ganze Welt für 99 Pfennig“ neben unserem Haus ihre Türen öffnete, hat sich unsere Wohnung in eine Testzentrale für internationale Fehlgeburten der modernen Haushaltselektronik verwandelt. Meine Frau geht gern in diesem Laden einkaufen, sie nennt es Soft-Shopping, weil man dort sein leichtes Konsumfieber ohne große finanzielle Verluste loswerden kann. Das erste Wunder der Technik, dass sie in der Knüller Kiste eroberte, war ein Mückenvertreiber, der laut beiliegenden Instruktionen nicht nur blutdürstige Insekten und Kakerlaken, sondern auch alle denkbaren Nageltiere bis zu fünf Kilo Lebendgewicht aus der Wohnung fern hält. Und das durch die bloße Ausstrahlung hoher Frequenzen, die für das menschliche Ohr vollkommen unhörbar sind.
In unserer Wohnung gab es aber weder Insekten noch Nagetiere, nur unsere Katze Marfa, die man nicht einmal mit einer Motorsäge von ihrem Lieblings- Heizkörper trennen könnte. Im Kinderzimmer hatten wir jedoch eine Mücke, sie lebte schon lange bei uns, und benahm sich dementsprechend anständig – summte leise, speiste hauptsächlich vegetarisch und war quasi ein Vollmitglied unserer Familie geworden. Bei ihr nun wollte meine Frau die vernichtende Kraft der modernen Technik prüfen. „Wenn es tatsächlich stimmt, was in der Gebrauchsanweisung steht, dann werde ich dieses Gerät meiner Mutter im Nordkaukasus schicken. In ihrem Dorf vermehren sich jedes Jahr richtig fette Mücken, außerdem Ratten und Mäuse. Die Bewohner sind hilflos. Aber nicht mehr lange,“ meinte meine Frau.
Abends schalteten wir das Gerät an. Die hohen Frequenzen verbreiteten sich in unserer Wohnung. Wir merkten nichts davon. Die Mücke im Kinderzimmer auch nicht. Dafür aber unser Nachbar. Er war die ganze Nacht wach, und ging in seinem Zimmer hin und her. Merkwürdige Geräusche drangen zu uns vor – als würde der Nachbar sich gegen die Wand schmeißen. Bums! Tratatatata. Bums! Tratatata. Er sprang gegen die Wand, ging zurück auf die Ausgangsposition und nahm erneut Anlauf. Wir befürchteten schon, dass er sich unter dem Einfluss der hohen Frequenzen in ein Insekt verwandeln würde. Meine Frau behauptete sogar zu hören, wie der Nachbar bereits einige Male die Decke gestreift hatte. Ich glaubte jedoch nicht, dass man eine derartig komplexe Verwandlung in einer Nacht durchmachen könne. So etwas braucht Zeit. Außerdem hat unser Nachbar einen viel zu großen Bierbauch, um sich an der Decke halten zu können. Trotzdem machten wir uns große Sorgen um ihn. Gleich am nächsten Morgen ging ich rüber und fragte, wie es ihm gehe. Der Nachbar erzählte, er habe ein Darts-Spiel geschenkt bekommen und die ganze Nacht gespielt. Der Mückenvertreiber schien keine Wirkung zu haben. Trotz dieses schlechten Testergebnisses schickten wir das Gerät in den Nordkaukasus.
Eine Woche später eroberte meine Frau in der Knüller Kiste eine elektronische Wanduhr. Sie kostete nur drei Mark, zeigte aber trotzdem die Zeit an. Die Schwiegermutter rief uns an und erzählte, was im Dorf passiert sei, nachdem sie unser Gerät angeschaltet hatte. Es kam zu einer noch nie da gewesenen Invasion von Mücken, Riesenraupen und Zieselmäusen. Alles Leben aus der Steppe kam an, um in den Genuss der ausländischen Frequenzen zu gelangen. Die aufgebrachte Dorfbevölkerung zwang meine Schwiegermutter, das Gerät zu vernichten. Der Mückenvertreiber wurde öffentlich im Garten des Hauses durch Zerhacken zur Strecke gebracht. Das Ungeziefer ging jedoch nicht in die Steppe zurück. „Aber schickt mir trotzdem nichts mehr,“ bat die Schwiegermutter am Telefon.
Unser Nachbar traf mit seinen Pfeilen die Wand, an der auf der anderen Seite unsere Wanduhr hing. Sie stürzte ab, tickte aber zu unserem Erstaunen brav weiter – nur ging sie jetzt in entgegengesetzte Richtung. Aus Achtung vor der modernen Technik schmissen wir sie nicht weg. Gelegentlich schauen wir sie an und werden immer jünger.
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