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wir lassen lesenGeschichten vom kleinen Ball

Pokerface mit Zelluloid

Dass Tischtennis Tennis für Arme ist, erzählt nur die Legende. Dass Tischtennis erste Wurzeln in den deutschen Tennisvereinen schlug, trifft jedoch zu. Nachdem sich Ping-Pong-Cafés zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin zunehmender Beliebtheit unter den feinen Leuten erfreuten, führte der Tennis-Club 1900 Gelb-Weiß am 10. Januar 1925 erste deutsche Titelkämpfe durch. Diese Veranstaltung löste die Initiative aus, die am 8. November desselben Jahres zur Gründung des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) führte. Zu seinem 75-jährigen Jubiläum veröffentlichte der heute achtgrößte deutsche Sportverband den DIN-A4-Band „Ein Spiel fürs Leben“. Er beinhaltet neben einer umfassenden Chronik vor allem einen 80 Seiten starken Statistikteil, der keine Frage mehr offen lässt – seien es Länderspiel-Resultate oder nationale Meisterschaften.

Sehr gut ist das „Who is who des deutschen Tischtennis“. Lesestoff bieten die Geschichten um die Stars des DTTB, allen voran Conny Freundorfer, Eberhard Schöler und Jörg Roßkopf. Letzterer löste einen Tischtennis-Boom aus, als er mit Steffen Fetzner 1989 in Dortmund Doppel-Weltmeister wurde. 20 Jahre zuvor hatte Schöler, das „Pokerface“, als Vizeweltmeister für Furore gesorgt. Der Text über seine Spiele ist am spannendsten zu lesen. Allerlei andere Themen bis hin zu den „Parias der Sportgroßmacht“ DDR, in der das nichtolympische Tischtennis aussortiert wurde, runden das Geschehen um das kleine Zelluloid gelungen ab.

Horst Biese ist „Verliebt in einen kleinen Ball“. Den Titel seines Buches vermittelt der Sportjournalist auch glaubhaft durch das Tischtennis-Lesebuch, das ebenfalls vor kurzem erschien. Kein „Jucks“, orthografisch ist er nicht immer auf Ballhöhe (genauso wie das Jubiläumsbuch, in dem der DTTB stur wie im Verbandsheft dts der neuen Rechtschreibung trotzt). Zudem verleiten einige seiner Anekdoten deutlich weniger zum Schmunzeln als der Zwang des älteren Herrn, entschieden für Tischtennisspielerinnen im Rock anstatt Sporthose zu plädieren. Erstens erhielten die Damen hierdurch mehr Beinfreiheit, zweitens wirkten sie dadurch adretter. Ausgenommen davon die Niederländerin Bettine Vriesekoop, die Biese auch mit Sporthose für einen Augenschmaus hält.

Sieht man von solcherlei Skurrilitäten ab, vermittelt das 126 Seiten umfassende Werk allerlei Interessantes. Oder hätten Sie gewusst, dass Aloizy Ehrlich und Farkas Paneth bei der Weltmeisterschaft 1936 zehn Schiedsrichter verschlissen, ehe nach 130 Minuten der erste Ballwechsel entschieden war? Im Jahr darauf begrenzte der Weltverband die Dauer eines Satzes auf eine halbe Stunde. Auch um Duelle zu vermeiden wie jenes zwischen Marian Goldberger und Michel Haguenauer, das durch einen Münzwurf entschieden wurde, weil beide Akteure nach siebeneinhalb Stunden unermüdlichen Einprügelns auf den immer wiederkehrenden Ball vor dem fünften Satz stehend k.o. waren. Oder dass Tennis-Legende Fred Perry vor seinen Wimbledon-Siegen 1929 Tischtennis-Weltmeister war? Auch Ann Haydon-Jones, die 1957 alle drei WM-Endspiele im Einzel, Doppel und Mixed im fünften Satz verlor, stand ab 1960 zwölf Jahre in den Top Ten im Tennis und gewann Wimbledon. Ihren Wechsel begründete die Britin mit den Worten: „Tennis wird im Freien gespielt und ist deshalb für mich gesünder als Tischtennis.“ HARTMUT METZ

Horst Biese: „Verliebt in einen kleinen Ball“, AGON-Sportverlag, 24 DMManfred Schäfer, Winfried Stöckmann, Norbert Wolf und andere: „Ein Spiel fürs Leben – 75 Jahre Deutscher Tischtennis-Bund“, 29,80 DM

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