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wir lassen lesenEin dicker Wälzer für die Fußballmaniacs

Von Aachen nach Zwischenahn

Manchmal kommen einem derart wahnsinnige Buchprojekte unter die Augen, dass man darüber spekuliert, welche Medikamente oder Spirituosen allein für die Idee dazu verantwortlich sein könnten. Das „Vereinslexikon“, das der bekannte Fußballmaniac Hardy Grüne jetzt vorgelegt hat, gehört ohne jeden Zweifel zu diesen Projekten. Der siebte Band der Reihe „Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs“ aus dem Kasseler Agon-Verlag ist wie seine Vorgänger ein dicker Wälzer, voll gepfropft mit Zahlen, Ergebnissen und Tabellen. Jeder, der auch nur einen Blick wirft in dieses Statistik-Ungeheuer, ahnt, dass für das Zusammentragen dieses Materials wohl mehr als ein paar Wochenenden nötig waren. Wieder hat Grüne so viel Zeit und Arbeit in ein einziges Buch gesteckt, dass man die Frage aus der Rezension eines früheren Werkes dieses Autors erneut stellen möchte: Wann schläft er eigentlich, dieser Hardy Grüne?

Rund 3.000 (in Worten: dreitausend!) deutsche Fußballvereine werden in diesem Buch verhandelt, Traditionsklubs, „die irgendwann in den letzten 100 Jahren Fußballgeschichte geschrieben haben“. Abgesehen von den notwendigen Ausnahmen galt, „dass von 1903–45 die Erstligisten, von 1945–63 die Erst- und Zweitligisten, von 1963–94 zusätzlich die Drittligisten und ab 1994 auch noch die Viertligisten aufgenommen wurden“. Zwei Drittel der Vereine hat Grüne selbst angeschrieben, um an die notwendigen Informationen zu kommen, die seinem Werk den Charakter eines Kompendiums geben: Gründungsdatum, Anschrift, Verbandszugehörigkeit, Fusionen mit anderen Klubs, Spielstätten, Tabellen und zuweilen auch die Spiele im DFB-Pokal (oder Tschammer-Pokal, wie dieser früher nach dem NS-Reichssportführer bezeichnet wurde).

Zusätzlich wird Grüne alle Heraldik-Freaks glücklich stimmen, denn jeden der verzeichneten Vereine ziert das dazugehörige Wappen respektive die Wappenchronologie. Das ist heutzutage auch für Gestalter und Vermarkter interessant, schließlich ist dieses Abzeichen ein wichtiger Teil des äußeren Erscheinungsbild eines Vereins, oder, wie hippe Designer zu vokabulieren pflegen, der Corporate Identity. Im Fall des 1900 gegründeten FC Bayern München hat sich das ursprünglich dem Mittelalter entstammende Wappen, durch das sich früher die Ritter voneinander unterschieden, wenn sie auf Turnieren zwecks Zertrümmerung der Rüstung aufeinander zuritten, insgesamt siebenmal geändert, bis es der Vereinsführung endlich massenkompatibel erschien.

Den Kern des Mammutwerks aber bildet der statistische Teil, für den die Umschreibung „umfangreich“ schlechterdings eine fette Untertreibung darstellen würde. Die breite Vereinspalette reicht von der Alemannia aus Aachen bis hin zum vergessenen LSV Bad Zwischenahn, einem zwischen 1940 und 1944 existierenden Luftwaffensportverein. Auch Göttingen 05 gehört dazu, der Lieblingsverein Grünes, für den er selbst zu Tschernobyl-Zeiten „eine Protest-Menschenkette verließ, um pünktlich im Stadion sein“. Ein Kaputter des Fußballs ist er eben, dieser Hardy, einer, von denen man wirklich sagen darf, dass er den Fußball lebt.

Wie das vermutlich alle Leser dieses Werkes machen werden, habe ich vor allem die Daten und Fakten meiner Heimat gewissenhaft überprüft und ein wenig beängstigt registriert, dass die Statistiken der von mir favorisierten südschleswigschen Vereine Blau-Weiß Friedrichstadt, Schleswig 06, und Husumer SV (einer Fusion aus Klubs, die zu meiner Zeit noch Husum 18 und Frisia Husum hießen) alle ziemlich stimmig sind. Und auch die beiden Ergebnisse der 1982er Pokalspiele zwischen dem Rendsburger TSV und der Kölner Viktoria, dieses wahrhaft unglückliche 1:1 nach Verlängerung und das 0:3 im Wiederholungsspiel, sind korrekt, dafür verbürge ich mich. Ich bin schließlich dabei gewesen. ERIK EGGERS

Hardy Grüne: „Vereinslexikon (Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs, Bd. 7)“. Kassel 2001, Agon-Verlag, 528 Seiten, 45,90 €.

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