piwik no script img

wir lassen lesenEine Fußballreise durch Moldawien

Wetten in Transnistrien

Dass es große Unterschiede zwischen England und Moldawien geben würde, war Tony von Anfang an klar gewesen. Beim abendlichen Bier aber waren sie schlicht nicht zu überbrücken. Der gemeine Moldawier legte nämlich beim Trinken überhaupt keinen Wert auf irgendeine Form von Gesellschaft. In England sprach man für gewöhnlich miteinander, abends im Pub. Hier dagegen beschränkte sich der Vorgang auf Bestellen, Einschenken, Runterstürzen, Rausgehen. Als ein Einheimischer für diesen radikalen Vorgang handgestoppte 17,1 Sekunden brauchte, stand Tonys Urteil fest: Das war kein Spaß, das war reinste Getränkevernichtung.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt bereute Tony die Wette, die ihn in dieses Land geführt hatte. Als England in einem langweiligen Qualifikationsspiel gegen Fußballzwerg Moldawien bereits mit drei Toren führte, da hatte sein Freund Arthur wieder einmal seine Qualitäten als Tennisspieler bezweifelt. Niemals, so der provokante Einwurf, würde er die elf moldawischen Fußballnationalspieler in dieser Sportart schlagen können. Natürlich konnte Tony das nicht auf sich sitzen lassen und hatte – ein paar Biere später und nicht mehr ganz nüchtern – eingeschlagen. Wie Engländer nun mal sind, ging es nicht um so schnöde Dinge wie Geld. Der Verlierer sollte in aller Öffentlichkeit die moldawische Nationalhymne singen. Mit einem Megafon. Splitterfasernackt.

Die Odyssee begann noch im vertrauten Britannien. Dass Moldawien völlig ohne Botschaft in England auskam, war noch zu verschmerzen. Als Tony herausfand, dass – ganz der sozialistischen Tradition folgend – eine Einladung für ein Visum vonnöten war, wuchsen die Probleme. Wie an einen Moldawier kommen? Nicht einmal die Anonymen Optimisten konnten Tony weiterhelfen. Eine moldawische Beatles-Band verschaffte ihm schließlich doch das Entree, und eine wenig Vertrauen erweckende Tupolew 134 trug ihn nach Chișinău, die moldawische Metropole.

Dort angekommen, machte sich Tony erst einmal mit den Verhältnissen vertraut. Als Moldawien Anfang der Neunzigerjahre die Unabhängigkeit erklärt hatte, war er wohl, wie er jetzt registrierte, „zu sehr damit beschäftigt gewesen, meinen Aufschlag zu verbessern“. Dass abends die Straßen nicht beleuchtet waren, konnte Tony noch verkraften. Als sich aber zeigte, dass die moldawischen Straßenkarten eher den Charakter von Schnittmustern besaßen, war an eine schnelle Ausführung seines Plans nicht mehr zu denken. Erst recht nicht mehr, als er von zwei Transfers erfuhr; Alexandru Curianu spielte mittlerweile bei Zenit Leningrad, Marin Spynu irgendwo in Israel.

Als sein Dolmetscher ihm außerdem noch dringend abriet von einem Besuch in Transnistrien, das selbst im übrigen Moldawien den Ruf eines Räuberlandes hatte, war Tony den Depressionen nahe. Dort, wo es immer noch „Kolchosen, staatseigene Betriebe und irre Fünfjahrespläne“ gab, wohnten nämlich zwei Nationalspieler, die auf seiner Liste standen.

Die ersten Tage waren, das musste der verrückte Engländer konstatieren, eindeutig Tage des Scheiterns, und doch ließ er sich nicht entmutigen. Bevor er allerdings zu seinem ersten Aufschlag ansetzte, vergingen noch einige bizarre Momente. Um die ersten Spieler zu kontaktieren, beobachtete Tony ein Heimspiel des besten moldawischen Vereins Zimbru Chișinău. Und stellte dabei fest, dass das Heimstadion fünfzig Kilometer außerhalb der moldawischen Hauptstadt lag. Ohne Zweifel, meinte Tony, war dieser Bau „auf eine der absurdesten Entscheidungen zurückzuführen, die das Volkskomitee für absurde Entscheidungen während der letzten Jahre kommunistischer Herrschaft getroffen hatte“. Aber eine Hand voll Fans waren doch anwesend.

Es folgen wahrlich skurrile Episoden, die jeden Leser vergnügen sollten. Tony wundert sich nicht selten über dieses Land, das ausgestattet ist mit dem grauen Charme des Postkommunismus. Dieses flott geschriebene Buch, das man auch als Reisebericht lesen darf, klärt auf über diesen vergessenen Landstrich zwischen der Ukraine und Rumänien. Und über die englische Wettleidenschaft. Wer am Ende die Hymne singen darf, sei hier nicht verraten, nur so viel: Tony ist tatsächlich gegen jeden Nationalspieler angetreten. Die spinnen wirklich, die Briten. ERIK EGGERS

Tony Hawks, „Matchball in Moldawien“. Goldmann, 352 Seiten, 8 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen