wir lassen lesen und lauschen: Weniger ist manchmal mehr
Böse, böse, böse
Dass „Anpfiff“ und „ran“ Humor und Satire in die Fußballberichterstattung eingeführt haben, weil sie den Sport nicht als authentischen Lebensmittelpunkt, sondern als Produkt aus der Distanz wahrnehmen konnten, ist bei Fans und Freunden der Kulturkritik eine wenig populäre These. Stellt sie doch eine seltsame Allianz zwischen den viel denunzierten TV-Totengräbern des Fußballs und denen her, die selbige Entwicklung so kritisch wie witzig begleitet haben: Fanzinemacher, Kabarettisten, Buchautoren.
„Herren des virtuellen Bluffs und der realen Hirnleere“ nennt Jürgen Roth in seinem Buch „Kotzbrocken. Machthaber und Maulhelden des Fußballs“ deshalb die Privatsender. Wenn es darum geht, ein „Team der Brechmittel in Menschengestalt“ zusammenzustellen, dürfen diverse Fernsehmoderatoren samt Leo Kirch natürlich nicht fehlen. Der Autor hat früher bei der Titanic dafür gesorgt, dass bei den Briefen an die Leser die Fußballer nicht vergessen wurden; später legte er mit dem Transkript einer Faßbender-Reportage in MEW-Gestalt („Gesammelte Werke Band IX/5, Europameisterschaft 1996: Italien – Deutschland“) eines der hintersinnigsten Fußballbücher aller Spielzeiten vor. Verglichen damit sind die „Kotzbrocken“ ein grober Klotz: Das Buch ist eine vehemente, virtuose Prominentenbeschimpfung.
Während aber die kommentierten Auszüge aus Lothar Matthäus’ Tagebuch („ein rousseauistisch radikales Werk“) und das gleich ganz erfundene „Journal des Stefan Effenberg“ („Ich werde geboren. Donnerwetter“) genuin komisch sind, leiden andere Beiträge an einer satirischen Überdosis, etwa wenn Roth sämtliche Nicknames zitiert, mit denen der jeweilige Antipathieträger je bedacht wurde – und gar aus eigener Feder noch draufsattelt. Reiner Calmund wird so, unter dutzenden anderen, vom „Wurstkopf, Bauchredner und Dampftopfplauderer“ zum „hauptberuflich quackfidelen Quarkbeutel“, besitzt „auftrumpfende Gratisfrechheit, angereichert durch einen strammen Schuss Schnapsnasenesprit“ oder redet „wackelpeternd vor eierndem Sprachwitz“.
Solche Schmähungen von Funktionären wie Calmund oder Gerhard Mayer-Vorfelder sind fantasievoll und sprachwitzig, aber in ihrer Fülle auch wieder schwerfällig. Zumal die zugrunde liegende Wertung mehr als vorhersehbar ist: böse, böse, böse. Und gegen Ende des Buches zum x-ten Mal eine Eloge auf den Hörfunkreporter Günther Koch zu lesen und gleichzeitig bestätigt zu bekommen, wie unerträglich Johannes B. Kerner doch ist, ist anno 2002 nicht unbedingt state of the art.
Vor allem aber kann sich der Stil mancher Beiträge – im Gegensatz zu den Zeichnungen von F. W. Bernstein – nicht entscheiden, ob er nun kritisch oder komisch sein will. Was zur Folge hat, dass etwa der Abschnitt über Franz Beckenbauer („die Materialisation, die Inthronisation des Blindgelabers“) sich streckenweise wie eine humoristisch aufgepeppte Variante aus dem Buch „Die Spielmacher. Strippenzieher und Profiteure im deutschen Fußball“ liest, worin Thomas Kistner und Ludger Schulze dem Kaiser enthüllungsjournalistisch ans Leder gehen.
Dass weniger manchmal lustiger sein kann, zeigt die CD „Tour de Franz“ des Comedy-Duos „Wilder Kaiser“, die darauf ein Best-of ihrer Stimmenimitationen auf Bayern 3 untergebracht haben. Auch wenn nach dem Titelstück fast nur noch billiger Klamauk kommt: „Hiphophurra – Tour de Franz“ legt Beckenbauer einen Rap in den Mund, gegen dessen Flow nicht nur die musikalischen Peinlichkeiten des echten Kaisers verstummen. „Von New York über Rio nach Tokio, in Kitzbühel und München sowieso, beim FCB, beim DFB, beim WM-Komitee und am Starnberger See, ich bin überall, ich bin omnipräsent, ich bin nicht nur Kaiser, ich bin auch Präsident“, heißt es da exakt in der Mixtur aus Weltläufigkeit und Provinzialität, für die Beckenbauer steht. Fest steht auch: Auf der CD ist die andere Möglichkeit zumindest angedeutet, adäquat mit den Unsäglichkeiten des modernen Fußballs und seiner Protagonisten umzugehen: gleich über das Original zu lachen.
MALTE OBERSCHELP
Jürgen Roth: „Kotzbrocken. Machthaber und Maulhelden des Fußballs“. Europa Verlag, 140 Seiten, 9,90 € Wilder Kaiser: „Tour de Franz“ (BMG Ariola)
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