wie machen sie das?: Der Beobachter
Der Baumschulgärtner Ralf Gramlich, 56, bringt Menschen in der Ornischule e. V. in Gemmingen bei Heilbronn seit 16 Jahren bei, wie man Vögel beobachtet.
taz am wochenende: Herr Gramlich, Sie bringen Laien den Unterschied zwischen einem Milan und einem Mauersegler bei. Wie machen Sie das?
Ralf Gramlich: Zunächst lernen die Teilnehmer im Klassenzimmer die Stimmen und das Aussehen der Vögel kennen. Als Hausaufgabe suchen sie sich dann eine zwei bis drei Kilometer lange Home-Run-Strecke aus. Diese sollen die Teilnehmenden einmal pro Monat ablaufen und alle Vögel aufschreiben.
Wer nimmt an Ihren Kursen teil?
An den Kursen nehmen sowohl Jugendliche als auch Senioren teil, Naturfreunde wie Stadtmenschen. Immer wieder gibt es Leute, die einen regelrechten Senkrechtstart hinlegen und am Ende zu leidenschaftlichen Feldornithologen werden.
Wie bestimmt man einen Vogel?
Zuerst stellt man die Größe des Vogels fest und vergleicht ihn mit Referenzarten wie dem Sperling. Ist der Vogel größer oder kleiner? Dann folgt die nächste Referenzart: die Amsel. Darauf die Ringeltaube, schließlich die Rabenkrähe. Stück für Stück grenzt man so das Trefferfeld ein.
Dazu benötigt man doch sicherlich viel Geduld?
Manch einer hat eine schnellere Auffassungsgabe, andere brauchen etwas länger. Möchte man Vögel beobachten, kann man entweder schauen, was im unmittelbaren Umfeld ruft und sich bewegt. Die andere Möglichkeit ist, selbst aktiv zu werden und das Feld und die Baumspitzen systematisch nach Vögeln abzusuchen. Am Anfang sehen die Teilnehmer meist nur eine schwarze Silhouette. Nach etwas Training lernen sie dann, Vögel auch im Flug zu beobachten.
Warum müssen Vögel in Deutschland überhaupt gezählt werden?
Die Vogelwelt ist sehr dynamisch. Die Populationen schwanken aus natürlichen Gründen, auch Epidemien können den Bestand dezimieren. Wenn die Daten, die bei Vogelbeobachtungen erhoben werden, in der Schublade verschwinden, hat niemand etwas davon. Für die Wissenschaft sind sie sehr wichtig, um zu dokumentieren, wie die Vogelwelt sich verändert.
Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Vogelwelt aus?
Der Klimawandel hat zum einen Auswirkungen auf den Bruterfolg. Das hängt mit dem Rückgang der Insektenvielfalt zusammen: Gibt es weniger Insekten, bekommen die Nachkommen der Vögel weniger Nahrung. In der nächsten Generation gibt es dann auch weniger erwachsene Tiere. Andere Vogelarten profitieren. Der Silberreiher zum Beispiel ist vor 30 Jahren aus dem Mittelmeerraum zu uns gekommen.
Interview: Simon Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen