wie machen sie das?: Die Dialekt-Imitatorin
Tina Kemnitz, 48, ist Diplom-Sprechwissenschaftlerin. Sie arbeitet als Sprechtrainerin in Berlin und ist mit ihrer „Literaturempfehlungsshow“ für Kinder und Jugendliche bundesweit unterwegs.
taz am wochenende: Frau Kemnitz, manche Menschen können fremde Dialekte kaum verstehen, Sie können gleich mehrere imitieren. Wie machen Sie das?
Tina Kemnitz: Ich bin Berlinerin – diesen Dialekt habe ich qua Geburt perfekt drauf. Bei den anderen hat es viel mit der Mundhaltung zu tun: Zunge, Unterkiefer, Mundwinkel. Fürs Sächsische schiebe ich den Unterkiefer leicht nach vorne und lasse die Mundwinkel ein bisschen hängen. Wenn ich Kölsch imitiere, bilde ich mir eine kleine Luftkugel im Mund ein. Fürs Bayerische spreche ich tief in den Rachen hinein.
Sie schneiden also Grimassen?
Nein, meistens sieht man das von außen gar nicht. Es ist eher ein Mundbewegungsschema.
Fallen Sie in den Dialektregionen damit auf?
Ich versuche nie, mit den Hessen Hessisch zu babbeln oder in Hamburg Norddeutsch zu schnacken. Das würde auch peinlich für mich werden, weil ich es eben nicht perfekt kann. Mit Dialekten treibe ich mein Unwesen nur auf der Bühne, wenn ich den Tieren beim Vorlesen verschiedene Mundarten aufdrücke.
Welches Tier spricht bei Ihnen wie?
Mücken kommen bei mir fast immer aus Brandenburg, Wildschweine oft aus Bayern, Fische sprechen Norddeutsch. Sächsisch vergebe ich nur an megasympathische Tiere. Sonst haben die keine Chance, weil der Dialekt bei vielen Leuten so unbeliebt ist.
Haben Sie selbst auch einen Lieblingsdialekt?
Ich mag Schwäbisch sehr gerne. Wahrscheinlich deshalb, weil mein erster, sehr verehrter West-Bekannter nach dem Mauerfall aus Schwaben kam. Wer einen bestimmten Dialekt lernen will, dem kann ich nur raten, sich eine Liebste oder einen Liebsten aus der entsprechenden Region anzuschaffen. Dann hört man viel, das ist eine gute Grundlage.
Trial and Error also.
Ja, immer wieder hören, nachmachen, üben. Das rollende Zungenspitzen-R für das Fränkische habe ich mit dem Wort „Tleppe“ gelernt. Wie Treppe, nur mit l statt r. Immer wieder „Tleppe, Tleppe, Tleppe“ vor sich hinnuscheln, dann rollt das R irgendwann.
Kann man sich so seinen Dialekt auch abtrainieren?
Wenn der Dialekt sehr stark ist, geht das am besten mit individuellem Sprechtraining. Das ist sehr mühsam, weil jeder Laut, jede Intonation neu gelernt werden muss. Aber wozu überhaupt? Es ist doch sympathisch, zu hören, woher jemand kommt. Ich hatte schon Seminare mit 30 Leuten, in denen kein einziger einen Dialekt sprach. Das ist doch irgendwie traurig. Interview:
Christina Spitzmüller
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