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Küppersbusch über den Wahlkampf„Kulturell erleben wir ein 68 von rechts“

Friedrich Küppersbusch sieht in Deutschland eine neue Hegemonie von rechts. Gleichzeitig sucht er nach Erklärungen für den Höhenflug der Linken.

Verzweiflung ja, Zittern nein. Es gibt ja was zu tun. Alice Weidel mit Fähnchen nach der Bundestagswahl Foto: Michael Probst/ap

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Die Umfragen.

taz: Und was wird besser in dieser?

Küppersbusch: Olaf Scholz und Volker Wissing machen einfach weiter.

taz: Bei der Bundestagswahl steht viel auf dem Spiel. Muss man vor Verzweiflung zittern?

Küppersbusch: 2021 hatten Union, FDP und AfD zusammen 45 Prozent, diesmal sind’s rund 55 Prozent. Das BSW darf man getrost dazu verrechnen, dann sind wir bei 60 Prozent. Bei den Themen Migration und Militarisierung haben SPD und Grüne klassische Positionen aufgegeben. Kulturell erleben wir ein „68 von rechts“, eine Hegemonie rechter Gedanken, die sich als Kampf gegen eine Hegemonie linker Gedanken tarnt. Außenpolitisch ist die Drift noch dramatischer, die Spannungspolitik Russlands und der USA lässt sich als Ende der Entspannungspolitik der 70er lesen. Schließlich eskaliert die Geschwindigkeit dieses Umbruchs, durch digitale Medien und Resignation. Also Verzweiflung ja, Zittern nein. Es gibt ja was zu tun. Eine Gesellschaft, die in sich nicht gerecht ist, kann es auch nach außen nicht sein.

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Küppersbusch zur Wahl

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taz: In den TV-Duellen wurden immer die gleichen Argumente ausgetauscht. Hat es sich trotzdem gelohnt, einzuschalten?

Küppersbusch: Bemerkenswert stabile Umfragen bei ungewöhnlich vielen TV-Sendungen. Sprich: Wumpe. Bewegung war bei der Linken, die sturzgeburtartig Social Media gelernt hat. Kein Schwund bei der AfD, die Social Media länger kann. Friedrich Merz hat drumherum maximal wenig gemacht und sich so immerhin nicht schon wieder verplappert. Olaf Scholz hat circa alles gemacht, war aber überall nur wieder Olaf Scholz. Der Themenverlauf war – irgendwas mit Wirtschaft, dann Migrationshysterie, dann Brandmauer, und schließlich ein Rest Ukraine und Trump. Klima, Wohnen, Bildung, soziale Gerechtigkeit kamen höchstens in der Schnellfragerunde. Fernsehen suggeriert, es könne alles, und ist damit für einen Impotenten ziemlich weit gekommen. Aber jetzt ist gut.

taz: Die Linke war auf einem Höhenflug. Wird der nach der Wahl anhalten?

Küppersbusch: Ausgang des Linke-Comebacks waren die drei Münchhausen, die sich am eigenen Wahlkreis aus dem Sumpf zu ziehen versprachen. Dann verwandelte Heidi Reichinnek im Bundestag souverän die Trottelflanke von Friedrich Merz. Bei der Themensetzung – Wohnen, soziale Gerechtigkeit – und Social Media mussten die Linken dann nur noch tun, was die SPD nicht hinkriegt, fertig war die Rettung. Offenbar gibt’s in Deutschland ein beliebtes Rollenfach Jeanne d’Arc durch Pipi Langstrumpf mal Sozialismus, und wer Reichinnek und Wagenknecht nebeneinander sah, entdeckte eine angestaubte Ikone und einen frischen Vorschlag dafür. Regiert die SPD weiter mit, ist mir um ihre Zukunft nicht bange. Also die der Linken.

taz: Trump und Putin entscheiden über die Ukraine und die EU hinweg. Ist Europa nun endgültig auf dem Abstellgleis der Geschichte gelandet?

Küppersbusch: Das muss man ja auch erst mal hinkriegen: Drei Jahre bis zur Hysterie „Woffn, Woffn, nochmal Woffn“ zu penetrieren, und die andere Hälfte der Wahrheit – Frieden, Verhandeln, Diplomatie – als unmoralisch, putinesk und insgesamt pfui aus dem Diskurs zu nehmen. Vor dem „Maidan“ ließen sich die Europäer von Russland einschüchtern und von den USA überrollen. Genau da allerdings liegt ihre Chance. Mit Putin und der Ukraine über deren EU-Mitgliedschaft zu reden, wäre allein deshalb schon klasse, weil Trump einen ordentlichen Strahl kotzen würde. Hochrüsten und Fresse halten ist das, was Trump von uns will. Widerstand stelle ich mir anders vor.

taz: In Südafrika wurde der erste offen schwule Imam erschossen. Braucht der Fortschritt Märtyrer wie ihn?

Küppersbusch: Menschen, die verkalkte Religionen zur Menschenfreundlichkeit zurück- und nach vorne führen, sollten grundsätzlich vor ihrer Ermordung bekannt werden.

taz: Der Ex-Präsident des spanischen Fußballverbandes Luis Rubiales muss eine Geldstrafe zahlen, weil er die Spielerin Jenni Hermoso nach dem WM-Finale 2023 ohne ihre Zustimmung auf den Mund küsste. Ein angemessenes Urteil?

Küppersbusch: Das Gericht befand auf „sexuelle Aggression“, nicht jedoch auf Nötigung. Dabei kann man Rubiales’ Griff nach dem Kopf der Spielerin fast umgekehrt wahrnehmen: Nötigung und dann sexueller Übergriff. Hätte er es gelassen. Oder sie ihm sofort eine gescheuert. So ein Bild braucht es auch mal.

taz: Und was macht der RWE?

Küppersbusch: Spielt im Sommer beim schottischen Erstligisten Hibernian, um zu feiern, dass sie vor 70 Jahren der erste deutscher Club in einem europäischen Wettbewerb waren. 1955, als Deutscher Meister. Fragen: Julia Schöpfer, waam

Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Produzent und wäre jetzt nicht gern Christian Lindner.

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Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
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