wer nicht dichten kann, muss deutschen:
von WIGLAF DROSTE
Günter Grass spricht sich selbst. Das hört sich so an: „Im Krebsgank. Eine Novelle. Erstes Kapitel. Warum ersst jetsst, sagte jemand, der nicht ich bin. Weil Mmutta mir immer wieder. Weil ich wie damals, als der Schrei überm Wasser lack, schreien wollte, aber nicht konnte. Weil die Wahrheit kaum mehr als drei Zeilen. Weil jetsst erst. Noch haben die Wörter Schwierigkeiten mit mir. Jemand, der keine Ausreden mack, nagelt mich auf meinen Beruf fest. Schon als junger Spund hätte ich, fix mit Worten, bei einer Springer-Zeitung volontiert, bald gekonnt die Kurve gekrickt, später für die tatss Tsseilen gegen Springer geschunden, mich dann als Söldner von Nachrichtenagenturen kurtss gefasst und lange Zeit frei beruflich all dasss zu Artikeln verknappt, was frisch vom Messer gesprungen sei, täglich Neues, Neues vom Tage. Mack schon sein, sagte ich, aba nichts anderes hat unsereins gelernt. Wenn ich jetzt beginnen musss, mich selba abzuwickeln, wird alles, was mir schiefgegangen ist …“ In der Tat: Grass wickelt sich selbst ab, und alles schief gegangen ist ihm auch. Er stammelstolpert sich durch seinen Text, es holpert und hackt und macht mackmack. Günter Grass kann nicht sprechen, und er schreibt, wie er spricht.
Grass zuzuhören weckt Erinnerungen an fiese Lehrer. So autoritär wie langweilig monologisierten sie vor der Klasse, und wenn einer es wagte, sich dem Gejodel durch Traum, Lektüre oder Schiffe versenken zu entziehen, wurde der Pappkopf vorn am Pult wütend. Schwer gekränkt warf er mit Kreide nach dem Delinquenten, manchmal sogar mit dem Schlüsselbund. Genau so spricht Grass: latent beleidigt, unsouverän, mit geborgter Autorität. Er weiß nichts über Melodie und Rhythmus, alles Musische ist ihm fern und fremd. In Grass ist soviel Poesie wie in den entsprechenden Alben.
Wie die Wörter mit ihm respektive seinem Ich-Erzähler Schwierigkeiten haben, so geht es Grass mit den Wörtern. „Words don’t come easy“ hieß ein Schmierlied aus den Achtzigerjahren – es ist die Lebenshymne von Günter Grass: „Words, pling pling pling, don’t come easy to me, how can I find a way …“. Den mangelnden Musenkuss hat Grass schon immer durch den Griff zu den großen Jahrhundertthemen zu kompensieren gesucht. So sind gut 40 Jahre SPD-Staatsdichterei zusammengekommen, und wie alle Sozialdemokraten wurde auch Grass die Angst nicht los, als ewiger vaterlandsloser Geselle behandelt zu werden.
Das ist nun überwunden. Tief in die Heimatfront hat sich Grass hineingeschrieben. Ein Dichter war er nie – jetzt ist er immerhin ein Deutscher für alle Landsleute geworden. Auch der Berufsvertriebene muss nicht mehr zaudern und kann Grass lesen: im Krebsgang. Die Deutschen als Opfer, in eiskalter See-o-hee, o weh. Das deutsche Feuilleton breitet weit die Arme und die Beine aus: Grass, einer von uns, und schweigt nicht länger über das letzte Tabuhuhuhu … Marcel Reich-Ranicki, Grass-Feind aus alten Tagen, monolog sogar, er habe „geweint“. Schluchz, schluchz, randvoll schwappt der deutsche Tränenbottich. Da spiele ich doch lieber Schiffe versenken.
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