piwik no script img

was wir noch zu sagen hätten #3Die Kurve kratzen

„Wollen Sie unseren neuen Landrat kennen­lernen?“ Der Mann ist Wahlhelfer. Für welche Partei, erkenne ich sofort an seiner Mütze. Sie ist blau und zeigt einen roten Pfeil unterhalb von drei Buchstaben. Seine Siegessicherheit geht mir auf die Nerven. Aber ich bleibe höflich und entgegne, dass die Wahl noch bevorstehe und wir doch besser abwarten sollten, was der Sonntag bringt. Absurderweise sind wir aus demselben Grund auf den Wochenmarkt gekommen – der Wahlhelfer und ich. Wir wollen mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kommen. Sie befragen, wo denn der Schuh drückt.

Hier im Saale-Orla-Kreis wird nämlich am Sonntag gewählt. Der Wahlhelfer erhofft sich von mir ein Interview für seinen Landratskandidaten. Ich habe ein Kamerateam dabei und falle deshalb sofort als Reporter auf. Mir aber geht es heute nicht um die Politiker:innen, ich bin wegen der Wäh­le­r:in­nen hier.

Und die haben zwei Wochen später, am 28.Januar, mit knappster Mehrheit entschieden: Es soll doch der Kandidat der CDU werden. Da haben wir aber gerade noch die Kurve gekratzt, denke ich mir, als ich mein Handy zücke, um das Wahlergebnis in Erfahrung zu bringen. Und wer hätte es gedacht: Ich bin glücklich über einen Wahlausgang zugunsten der CDU.

Wenn ich betonend hervorhebe, dass wir im Saale-Orla-Kreis gerade noch die Kurve gekratzt haben, dann tue ich das nicht, weil ich dort meine Stimme abgegeben habe. Ich will mich miteinbeziehen, weil ich mir den Gedanken austreiben möchte, dass solch ein knappes Wahlergebnis doch bitte nur dort vorkommt, aber niemals vor meiner Tür. Stattdessen will ich versuchen zu begreifen, warum die Partei des Wahlhelfers mit der blauen Mütze überhaupt so gut ankommt. Und dafür blicke ich nicht in eine Richtung, dafür blicke ich in jede. Nikolai Vack

Foto: Foto:  Anke Phoebe Peters

Nikolai Vack, geboren 1997. Hat Jura in München und Neapel studiert. Ist Reporter in Leipzig und seit 2024 taz-lab-Redakteur.

Hier schreiben unsere Au­to­r*in­nen wöchentlich über den Osten. Oder was …

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen