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warenkundeIch wähle CDU, weil …

Gerne wird die Warenförmigkeit der Politik beklagt – dabei könnte der Markt tatsächlich über leere Versprechungen aufklären

Dass heutzutage alles zur Ware werden kann, ist eine Binsenweisheit. Gerne wird sie von Linken und Kulturkritikern mit erhobenem Zeigefinger verkündet, so als sei das Zur-Ware-Werden automatisch mit einem Verlust an Authentizität und Qualität verbunden. So beklagt etwa der Soziologe Richard Sennett in seinem jüngsten Buch („Die Kultur des neuen Kapitalismus“), dass auch die Politik neuerdings als Ware behandelt werde: „Die Vermarktung politischer Persönlichkeiten gleicht (…) immer stärker der Vermarktung von Seife, weil man in beiden Fällen durch das Vergolden kleiner Unterschiede die Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken hofft.“

Solche Diagnosen klingen zustimmungspflichtig – und doch sollte man ihnen misstrauen. Wenn Sennett recht hätte, müssten auf dem Feld der Politik nämlich auch ähnliche Phänomene zu beobachten sein wie in der Marken- und Konsumkultur. Es müsste Kultpolitiker und regelrechte Hypes geben, Parteien sollten es schaffen, dass man sie unbedingt wählen will, und Jugendliche hätten auf den Schulhöfen nicht nur über Handy- und Turnschuhmarken, sondern auch über die coole CDU oder zumindest über die angesagte Linkspartei zu diskutieren. Dass dies alles nicht der Fall ist, begründet Zweifel an Sennetts Behauptung. Zwar geisterte vor ein paar Jahren für kurze Zeit auch einmal das Schlagwort von der Konsumverdrossenheit durch die Medien, doch kam sie an die längst habituelle und angeblich immer noch wachsende Politikverdrossenheit nie heran. Vielmehr scheint die Konsumlust bei einer Mehrheit ungebrochen, und die Faszination gegenüber starken Marken, Produktneuentwicklungen und Werbekampagnen ist stärker als eine Verweigerungshaltung, wie es sie gegenüber der Politik sehr wohl bei vielen gibt.

Was machen Parteien und Politiker also falsch? Vermarkten sie sich zwar wie Seife, dies aber noch im Stil der 1950er-Jahre? Tatsächlich haben sich Wahlplakate und Werbespots der Parteien in den letzten Jahrzehnten viel weniger geändert als die Auftritte von Markenprodukten. Wäre es somit möglich, mit kreativen und mutigen Werbeagenturen aus den Parteien doch noch Topbrands zu machen und Politiker endlich in Stars zu verwandeln, die von Fanclubs und Groupies umschwärmt werden? Kaum einer dürfte ernsthaft daran glauben. Ist das Produkt „Politik“ also wirklich so schlecht, dass selbst aufwendige Kampagnen kein deutlich besseres Image bereiten könnten?

Spätestens an dieser Stelle wird man bemerken, dass Sennett eine wesentliche Differenz von Warenwelt und Politik außer Acht lässt. Politik findet, zumindest in einer Demokratie, im Dialog, ja in kontroversen Auseinandersetzungen statt – die Werbebotschaften der Marken hingegen bieten viele, viele Monologe. Das aber bedeutet, dass die Wähler neben dem Selbstlob der Politiker immer mindestens so viel kritische, oft sogar polemisch abwertende Stimmen hören: kein Slogan, kein für das eigene Image reklamierter Wert, den der politische Gegner unkommentiert ließe. Bei Konsumgütern hingegen bleibt das Eigenlob unwidersprochen. Unternehmen haben keinen Generalsekretär, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die Produkte der Mitbewerber schlechtzureden. Dass das so ist, hat einen einzigen Grund: das Verbot vergleichender Werbung, nach dem es höchstens erlaubt ist, objektive, allgemein nachprüfbare Tatsachenbehauptungen über einen Konkurrenten zu machen.

Existierte es auch in der Politik, wäre die Demokratie als Wettstreit von Ideen und Personen am Ende. Statt eines Parlaments und Talkrunden im Fernsehen bräuchte man dann – nicht nur vor Wahlen – Werbeblöcke für die verschiedenen Parteien, die nur für sich und nie gegen die Konkurrenz sprechen dürften. Was aber passierte umgekehrt, wenn das Verbot vergleichender Werbung für die Warenwelt ganz aufgehoben würde? Sofern sich dann Anbieter gegenseitig schlecht machten, entstünde ein düstereres Bild der Konsumgüter: Noch bevor eine Marke zum Kult würde, wäre sie durch andere Marken zumindest relativiert worden, ja wäre gezwungen, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen und selbst aggressiv zu werden. Das Image von Makellosigkeit und Unschuld, das heute jedoch so viele Marken begehrenswert macht, wäre nicht länger zu halten. Eine allgemeine Konsumverdrossenheit wäre im weiteren nicht auszuschließen.

Die Dominanz der monologisch vermarkteten Konsumkultur ist heutzutage jedoch so stark, dass die Tendenz besteht, alles nach ihren Regeln zu beurteilen. Und das liefert auch eine Erklärung für das Phänomen der Politikverdrossenheit: Da Werbung und Marketing auf offene Auseinandersetzung und Kontroverse verzichten, fühlen sich viele Menschen bereits befremdet, sobald irgendwo laut gestritten wird.

Wenn man zumal der jüngeren Generation vorhält, sie sei zu brav und konfliktscheu, dann ist diese Eigenheit also sicher auch auf die Prägung durch die narzisstische Markenwelt zurückzuführen. Statt es gut zu finden, wenn sich verschiedene Parteien widersprechen oder gar angreifen, flüchtet man sich lieber in die aseptische Welt der Konsumprodukte.

Das Problem besteht also nicht darin, dass Politiker heute wie Seifen vermarktet werden, sondern dass ihr Auftreten am Auftreten von Seifen gemessen wird. WOLFGANG ULLRICH

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