wahnsinn: Die Grüne Woche
Schunkeln nach Preußen
Die Grüne Woche kostet für Erwachsene 21 Mark Eintritt. Schüler zahlen 12 Mark für eine Tageskarte. Die an allen Messeständen erhältlichen Imbissgerichte Bratwurst, Asiapfanne oder Gyrosteller sind nicht im Preis enthalten. Umsonst ist auf der Grünen Woche nur das begleitende Musikprogramm.
Das richtet sich in erster Linie an die Freunde volkstümlicher Melodien. Vor der künstlichen Bergkulisse Österreichs in Halle 15 tritt etwa ein kostümierter Ziehharmonikaspieler vor das Mikrofon. Begleitet wird er von einer Frau im Dirndl, die eine elektrische Orgel bedient. Der große Erfolg ihres nebenbei betriebenen CD-Verkaufs gibt ihrer Heimatliebe recht. Aber auch Länder, die keineswegs für eine spezifische Musikrichtung bekannt sind, machen bei dieser Form der volkstümlichen Hitparade mit. Zum Beispiel Brandenburg. Vor der Bühne in Halle 21 steht eine vielköpfige Blaskapelle für Musik zum Schunkeln bereit. Sie wird anfangen, wenn die rustikale Laienspielgruppe mit ihrem humorvollen Beitrag zum Preußenjahr zu Ende ist. Eine Halle weiter hat Rheinland-Pfalz einen Männerchor in Trachten gemietet. Und gegen die lauten Volkslieder aus den Lautsprechern des Sachsen-Anhalt-Raums sind selbst die Verstärker der mobilen Diskostation von Radio Eins unterlegen.
Ein Rundgang durch die Hallen zeigt: Die erlaubte Modernität der Musik einer Landwirtschaftmesse scheint sich im besten Falle auf das schwungvolle Repertoire von freiwilligen Feuerwehr-Bigbands zu reduzieren. Es hängt wohl mit dem gern gepflegten Image der Landwirtschaft als letztes Refugium romantischer Rückständigkeit zusammen, dass dort keine nach 1957 erfundene musikalische Stilrichtung zu hören sein darf.
Doch auch das nicht deutschsprachige Ausland behält seine althergebrachten nationalen Klangklischees. In der Frankreich-Abteilung gibt es Chansons aus der Akkordeonfabrik. Bei den griechischen Verkäufern läuft eine Sirtaki-Kassette. Die irische Vertretung hat eine zerzauste Folkband engagiert. Jenseits der Europäischen Gemeinschaft kommt man genauso wenig weiter: Rumänien spielt Panflöte, Brasilien Salsa, Indien seine traditionellen Filmmusikschlager. Viele Messebesucher suchen indes neue Herausforderungen für ihr Leben. Sie gehen in die Biohalle.
Denn in der Biohalle steht die Präsentation krauser Ideen während der gesamten Grünen Woche ganz oben auf dem Programm. Am Sonntag verkostete der Grünen-Politiker Cem Özdemir dort den ersten „Bio-Döner“ der Welt. Und auch das Schild „Burundischer Kaffee + deutscher Biokuchen = gesund“ ist originell.
Heute ist hier zumindest der Kinderzirkus „Cabuwazi“ musikalisch in den späten Siebzigern angekommen: Zum Gymnastikauftritt eines Mädchens in bunten Strumpfhosen laufen die Hits von Jean-Michel Jarre. Am gegenüberliegenden Stand der Grünen verteilen Aktivisten kleine Brotstücke mit vegetarischem Aufstrich. Man selbst wäre auch für ein kurzes Lied von Madonna dankbar.
KIRSTEN KÜPPERS
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