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wahlempfehlungenDas neue Bild vom Zeitungsleser

Wählt Stoiber! Kleiner Scherz. So eine Wahlempfehlung wäre an dieser Stelle natürlich undenkbar. Also dann lieber: Wählt Rot-Grün!? Auch dies ist ausgeschlossen. Was gar nichts mit politischen Überzeugungen zu tun hat, sondern mit der Zielgruppe, für die diese Zeitung gemacht wird. Die taz-LeserInnen würden sich Wahlempfehlungen insgesamt verbitten – selbst dann, wenn sie sich mit der eigenen Meinung deckt. Versuche, ihnen Denkarbeit abzunehmen, würden sie als Gängelei empfinden. Die Mailbox, in der die Leserbriefe an die taz landen, würde vor lauter wütenden Zuschriften explodieren.

Kommentarvon DIRK KNIPPHALS

Die Financial Times Deutschland (FTD) pflegt ein anderes Bild von ihren LeserInnen. Sie hat eine Wahlempfehlung ausgesprochen, die mit Begleitgeschichten zwei ganze Seiten des Blattes füllt und sich doch in zwei Wörtern zusammenfassen lässt: Wählt Stoiber! Offensichtlich erwartet die moderne Leserschaft aus stressgeplagten Entscheidern so etwas, denkt man bei der FTD oder jedenfalls in ihrer Chefredaktion.

Weiter scheint man sich dort die Gedankengänge der eigenen Leser so auszumalen: Wenn schon Effizienz in der Entscheidungsfindung an oberster Stelle steht, warum dann nicht auch im Hinblick auf die Bundestagswahl! Also bitte das umständliche Verfahren der eigenen Entscheidungsfindung abkürzen, wir Leser vertrauen dann schon den Vorarbeiten der Redaktion. Ist schließlich auch nur eine Art Briefing.

Einen gelungenen Einfall, die eigene Bekanntheit zu erhöhen, darf man der FTD attestieren. Und darüber hinaus? Wird hier das hohe Gut der journalistischen Unabhängigkeit der Präferenz für eine Partei geopfert? Ach, gemach. Soll sich doch die FTD vor den Karren des Kanzlerkandidaten stellen. Da weiß man jedenfalls, woran man bei ihr ist. Andere Presseorgane, vor allem die mit den ganz großen Buchstaben, tun das Gleiche, allerdings durchaus nicht so offen.

Um die Unabhängigkeit der deutschen Presse im Ganzen braucht man erst mal sowieso keine Sorgen zu haben. Zumal berechtigte Zweifel bestehen, ob die FTD-Leser selbst diese Aktion goutieren werden – auch wenn sie die Bundestagswahl wohl zwischen zwei Online-Aktienkäufe schieben.

Letztendlich sind Leser auch nichts anderes als Verbraucher. Und die sind vor allem eins: unberechenbar. Eine ganze Menge Markenfirmen haben es schmerzlich erfahren müssen.

medien SEITE 18

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